Wie sieht Heilung und Wachstum bei Trauma aus?
Als ich angefangen habe mich mit meinem Kindheitstrauma auseinanderzusetzen, hatte ich eine sehr klare Idee, wie mein Weg zur Heilung aussehen würde: linear. In Realität hat sich durchaus etwas verändert, aber völlig anders als ich vermutet hätte. Der Schlüssel ist Selbstakzeptanz.
Als ich angefangen habe mich mit meinem Trauma auseinanderzusetzen, hatte ich eine sehr klare Idee, wie mein Weg zur Heilung aussehen würde: linear. Wenn es spezifisch um die Herausforderung geht Grenzen zu setzen, „Nein“ zu sagen, Bedürfnisse zu äußern oder mich zu behaupten, habe ich erwartet eines Tages besser darin zu werden – wenn ich nur brav daran arbeite.
Ich habe festgestellt, dass sich durchaus etwas verändert hat in den letzten Monaten und Jahren. Aber völlig anders als ich vermutet hätte. Während ich früher Blogposts zum Thema Grenzensetzen schrieb, wo ich mir selbst haufenweise Hausaufgaben gab oder mich ständig als Baustelle betrachtet habe – als die, die zu verrückt ist „Nein“ zu sagen, habe ich heute viel mehr Vertrauen in mir. Selbst in einer Situation, in der ich mich nicht spüren kann, mich im „Fawn-Modus“ befinde (auch „People Pleasing“ genannt – eine häufige Folge von Trauma) und mich womöglich sogar auf sexuelle Handlungen einlasse, die ich nicht wirklich tun will, weiß ich tief im Innern, dass ich mein Bestes gebe und gut bin wie ich bin.
Ich sehe nicht nur meinen Dachschaden, ich sehe auch, dass ich immer wieder schaffe Grenzen zu kommunizieren, sei es auch auf unsichere Weise. Mein Fokus liegt nicht mehr so stark auf dem Gegenüber, das meine Grenzen nicht akzeptiert, sondern auf der Tatsache, dass ich sie überhaupt geäußert habe. Ich sehe, dass ich Beziehungen mit toxischen Dynamiken beenden kann und grundsätzlich ein Gefühl dafür habe, wenn eine Grenze überschritten wurde. Während es für die Aufarbeitung einiger Erfahrungen Jahre gebraucht hat anzuerkennen, dass mir Unrecht getan wurde, kann ich heute besser auf mein Bauchgefühl hören. Ich sehe nicht nur, wie ich mich nach einer Grenzüberschreitung schäme oder selbst fertig mache, denn das kann immer passieren – ich sehe auch, wie ich aus dieser Abwärtsspirale wieder herauskomme, weil ich weiß: Ich bin nicht schuld. Mein Blick auf mich selbst ist insgesamt viel wohlwollender geworden.
Ich finde es fast ein bisschen amüsant, wie ich an dem gleichen Punkt angelangt bin, wie auch schon bei meinen Struggles mit Polyamorie und Eifersucht: Der Schlüssel ist Selbstakzeptanz. Es ist eine schöne Fantasie eines Tages so mit mir im Reinen zu sein, dass ich einfach und ohne Gedankenkarussel sagen kann: „Stopp, bis hier und nicht weiter!“ Aber das erreiche ich nicht ohne Selbstakzeptanz, Geduld und Vertrauen in mich selbst. Und vielleicht geht es nicht mal darum genau an diesem Punkt anzukommen! Es geht nicht darum, dass ich irgendwann diesen Satz genau so sagen und auch meinen kann. Es geht darum, wie es in mir drin aussieht!
Neulich ist etwas ziemlich besonderes passiert! Ich wurde auf der Straße von einem Mann angemacht. Er ist mir zur U-Bahn gefolgt und hat nicht locker gelassen. Keine Sekunde lang hatte ich das Gefühl ich müsse ihn pleasen, mit ihm reden, ihm höflich einen Korb geben oder ihm erklären, warum ich kein Interesse habe. Keine Sekunde lang habe ich daran gezweifelt, dass ich keine Lust auf diese Begegnung habe. Ich war nicht mal für einen Augenblick verunsichert, sondern bin emotional bei mir geblieben. Fühlen sich so etwa normale Menschen?
Von außen sah diese Begegnung nicht anders aus als andere Erfahrungen mit Alltagssexismus. Ich habe ihm nicht gesagt, dass er gehen soll und habe auch nicht „Nein“ gerufen, sondern ihm lediglich die kalte Schulter gezeigt. Aber mein Mindset hat sich verändert. Und plötzlich wusste ich: Das war ein wichtiger Schritt in Richtung Heilung!