Eine Statue, die so aussieht als würde sie nachdenken/grübeln.
Bisexualiät

Was hilft gegen Internalisierte Bifeindlichkeit?

Viele nicht-monosexuelle Menschen kennen sie, die internalisierte oder verinnerlichte Bifeindlichkeit. Sie legt sich wie ein Schatten übers Gemüt und flüstert uns ins Ohr, dass wir nicht „bi genug“, „queer genug“ – unauthentisch seien. Sie verpasst uns ein queeres Imposter-Syndrom. Wir denken: „Alle, die sagen, dass sie bi sind, sind tatsächlich bi… nur ich nicht, ich bin ein Fake und ein Bi-Hipster.“ Wir befürchten uns selbst etwas vorzulügen oder die LGBTIQ-Community auszubeuten. Wir beginnen uns dafür zu verurteilen einem bisexuellen Klischee zu entsprechen oder uns nicht früher geoutet zu haben.

Manchmal umarmt die verinnerlichte Bifeindlichkeit die verinnerlichte Homofeindlichkeit und hindert uns daran gleichgeschlechtliche romantische oder sexuelle Begegnungen zu suchen. Was ist, wenn wir uns ungeschickt anstellen? Oder nicht genug auf die Person stehen? Das wäre doch der Beweis, dass wir Lügner*innen sind! Außerdem würden das dem Ruf der Bisexuellen schaden!

Internalisierte Bifeindlichkeit ist ein Arschloch. Die Frage ist: Was kann man dagegen tun? Das ist natürlich nicht der erste Artikel, den es dazu gibt. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber die typischen Ratschläge in diesen Blogposts helfen mir nicht weiter. Klar, es ist nicht verkehrt mit anderen Bisexuellen darüber zu sprechen. Aber was mache ich, wenn das Problem auch danach bestehen bleibt und immer wiederkehrt? Zum diesjährigen Bisexual Visibility Day habe ein paar Ideen gesammelt.


Echtes Bi+Empowerment – ohne Wenn und Aber!

Es ist nicht schwer unter Stichwörtern wie „Bi+Positivity“ Artikel und Social-Media-Posts zu finden, die Bisexuelle empowern sollen. Wenn mich gerade internalisierte Bifeindlichkeit plagt, helfen mir diese Posts oft gar nicht. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Viele von ihnen haben einen entschuldigenden oder rechtfertigenden Unterton. Es fängt an beim bekannten Slogan „Still Bisexual“ an (den übrigens auch Bi+Aktivistin Shiri Eisner kritisiert hat), geht weiter mit Statements wie „Ich bin verheiratet und trotzdem bisexuell“ und hört bei Blogartikeln oder Posts aus der queer-feministischen Szene nicht auf, in denen sich Schreiber*innen zum Beispiel für ihre heteronormative Vergangenheit entschuldigen. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich in Coming-Out-Artikeln von Bi+Frauen gelesen habe, dass sie keine Dreier haben oder es bei Dreiern mit einer anderen Frau und einem Mann wirklich-wirklich nicht so sehr auf den Mann ankommt.

Sie richten sich damit gegen das sexistische Bild von Frauen, die nur mit Frauen schlafen, um ihrem Freund zu gefallen. Ich will nicht sagen, dass es verkehrt ist sich mit der Fetischisierung von Bi+Frauen zu beschäftigen – ganz im Gegenteil! Aber das ist nicht, was diese Texte tun. Sie dekonstruieren die bi-misogynen Bilder nicht, sie kreieren ein Korrektivbild: Was in der Bi+Community unter Bi+Empowerment läuft, vermittelt oft Botschaften wie: „Schaut mal, ich bin eine von den guten Bisexuellen“, „Ich bin verheiratet, aber ich bin TROTZDEM bisexuell“, „Ich bin bisexuell und TROTZDEM treu.“ Wahrscheinlich zeigt das nur, wie stark wir alle Bifeindlichkeit verinnerlicht haben.

Wie soll dieses ganze Bücken und Sichkleinmachen gegen die tief verwurzelten Glaubenssätze ankommen, dass wir als Bisexuelle nie genug sind? Wir müssen raus aus dem Rechtfertigungsmodus! Wenn also Bi+Empowerment nicht empowert, muss echte Bi+Positivity her – Texte von schamlos stolzen Bisexuellen, die sich in ihrer ganzen Komplexität feiern und sich nicht trotzdem feiern. Die es embracen, wenn sie einem Klischee entsprechen, darüber vielleicht einen Witz machen, anstatt sich zu rechtfertigen. Die bifeindliche Bilder dekonstruieren anstatt andere Bisexuelle unter den Bus zu schmeißen.

Kompromisslos positive Botschaften wie diese habe ich zum Beispiel in der Facebook-Gruppe „THIS IS BI CULTURE“ gesehen. Außerdem geht der Song „Gettin‘ Bi“ aus der Serie Crazy Ex-Girlfriend in die Richtung. Leider kommt auch dieser Song nicht ganz ohne Myth-Debunking aus, aber Lyrics wie „Oh yeah, I’m lettin‘ my bi flag fly! Not gonna hide it, not gonna lie – I’m a bi kinda guy!“ machen das fast wieder wett!

Diskutiere nicht mit der bifeindlichen Stimme im Kopf – trickse sie aus!

Internalisierte Bifeindlichkeit ist ein Troll: Sie liebt es uns mit Bullshit-Behauptungen einzuschüchtern und kann es kaum erwarten, dass wir darauf reagieren. Eine Diskussion mit ihr können wir nicht gewinnen. Ich kann noch so gut über Bisexualität Bescheid wissen – der Troll ist mir einen Schritt voraus. Ein mal bin ich dem Impuls nachgegangen und habe in meinen Teenie-Tagebüchern nach „Beweisen“ für meine Bisexualität gesucht. Obwohl ich ziemlich schnell etwas gefunden habe, konnte das den Troll nicht überzeugen. Deswegen: Don’t feed the troll! Stattdessen müssen wir ihn austricksen. Wie geht das?

Als ich wegen Panikattacken in Therapie war, habe ich eine Übung gelernt: Wenn ich merke, dass sich körperliche Angst- und Paniksymptome anbahnen, muss ich möglichst schnell vermeiden in einer Abwärtsspirale zu landen. Anstatt also zuzulassen, dass mich die Angst vor der Angst in Panik versetzt, fordere ich die Anxiety aktiv heraus, indem ich sage oder denke: „Hi Anxiety, ich bin bereit. Zeig mir, was du drauf hast! Pff, ist das etwa alles, was zu zu bieten hast? Komm, da geht noch was!“ Ich war erstaunt, wie oft das geholfen hat! (Natürlich wird das vor allem bei milderen Formen von Anxiety funktionieren und nicht, wenn man bereits in der Angstspirale drinsteckt.)

Einen ähnlichen Ansatz kann man auch bei der bifeindlichen Stimme im Hinterkopf ausprobieren. Anstatt uns vor uns selbst zu rechtfertigen, können wir die Stimme derailen wie wir einen Twitter-Troll derailen würden. Wir können die internalisierte Bifeindlichkeit dabei auch personifizieren, das macht die ganze Sache unterhaltsamer:

Also, nennen wir unseren Troll z. B. Lutz. Er ist der Schnösel, der auf jeder queeren Homeparty auftaucht, um Dinge besser zu wissen. Wenn er das nächste mal sein Weinglas schwenkend behauptet: „Well, actually kriegst du’s nicht hin mit Frauen zu flirten, das ist ein klarer Beweis dafür, dass du bloß bi-chic bist“, entgegen wir ihm: „Hi Lutz, na… trollst du wieder? Dein Argument ist ja mal so basic. Denk dir mal was neues aus!“ Als ich das ausprobiert habe, war Lutz so irritiert, dass er einfach wieder gegangen ist. Er ist es nicht gewöhnt keine Kontrolle über das innere Gespräch zu haben.

Eine Troll-Puppe mit blauen Haaren PublicDomainPictures
Lutz, der bifeindliche Troll mit prätentiösem Weingeschmack

Was Lutz genauso nicht leiden kann ist Selbstliebe – schließlich ernährt er sich von unserer Unsicherheit. Eine weitere Möglichkeit ihn auszutricksen ist daher gar nicht auf seine „Argumente“ einzugehen, sondern im Geiste zu beschreiben, was wir an unserer Sexualität mögen – ohne das auf die Frage „Bin ich bi/pan/queer genug?“ zu beziehen.

Wenn also Lutz findet: „Wärst du wirklich bisexuell, hättest du viel mehr gleichgeschlechtliche, sexuelle Erfahrungen gemacht!“ antworte ich: „Meine Sexualität ist gut so wie sie ist: Ich mag, dass ich kinky und sexuell ambivalent bin. I’m a proud Pervert! Deine Fixierung auf Geschlecht ist echt weird.“ Darauf wusste Lutz nichts zu antworten – ich habe ihm keine Angriffsfläche geboten. Außerdem empowert mich dieser wohlwollende Blick auf die eigene Sexualität: Er erinnert mich daran, dass meine Sexualität viel reicher ist und der Fokus auf das Geschlecht meiner verflossenen Sexualpartner*innen ihr niemals gerecht werden kann.

Es reicht sicherlich nicht aus das innere Selbstgespräch zu verändern, um die tief sitzenden, bifeindlichen Botschaften für immer loszuwerden. Aber es kann eine nützliche Strategie sein, um mit den destruktiven Gedanken umzugehen. Wenn ihr die Methode ausprobiert habt, interessiert mich sehr: Wie habt ihr euren Troll ausgetrickst?

Du fühlst dich unauthentisch? Embrace the true power of bisexuality!

Als Bisexuelle können wir ganz schön viel Zeit damit verbringen anderen und uns selbst zu beweisen, dass wir „authentisch“ sind. Wir zerbrechen uns den Kopf darüber, ob unsere Struggles und Coming-Out-Geschichten ähnlich sind wie die monosexueller Queers. Wir sorgen uns, ob wir die queeren Szenecodes gut genug kennen. Wir hinterfragen bei jedem homoerotischen Gedanken, ob diese Gefühle echt und „queer genug“ sind. Aber eigentlich liegt die wahre Power von Bisexualität gerade darin, dass sie das Konzept „Authentizität“, ebenso wie stabile Identitätskategorien infrage stellt. Mit den Worten von Shiri Eisner:

„Bisexualität destabilisiert die klare Grenze zwischen queer und heterosexuell und symbolisiert die Angst vor der Invasion von Queerness in heterosexuelle Bevölkerungsgruppen.“

Shiri Eisner, Bi: Notes for a Bisexual Revolution

Zum Thema „Authentizität“ hat Shiri Eisner folgendes zu sagen

„Die Idee, dass Bisexuelle ihre Sexualität auswählen können, stammt von einem Standpunkt, der Entscheidung als negativ oder als Zeichen der Illegitimität ansieht. In einer politischen Bewegung, in der der vorherrschende Diskurs auf dem Mangel an Wahlmöglichkeiten (…) beruht, wird dieser Mangel (das Argument ‚Born this way‘) zu einem ‚Werkzeug‘, um Legitimität und Akzeptanz durch die Gesellschaft zu erlangen … dieses Argument kennzeichnet Unveränderlichkeit – es gilt als ’natürlich‘ – als authentisch und daher legitim, während Wahl/Entscheidung als ‚kulturell‘ gilt, als unauthentisch und illegitim“.

Shiri Eisner, Bi: Notes for a Bisexual Revolution

Das bedeutet also: Wir haben die Superpower normative Weltbilder ins Wanken zu bringen. Essentialistische Kategorien von „Frau“ und „Mann“, „Homo-“ und „Heterosexualität“ zu sprengen. Jeden starren Identitätsdiskurs können wir verkomplizieren. Wir kreieren Fragezeichen in den Köpfen unserer Mitmenschen. Wir sind der Beweis, dass uns „Authentizität“ nicht befreit. Wir sind so (un)authentisch wie Identität selbst.

Wir sind viele und überall und oft unsichtbar – wartet’s bloß ab, wenn wir unseren Undercover-Modus verlassen! Wir sind die „queere Invasion“ in heteronormativen Spaces. Wir sind guter schlechter Einfluss.

Wir sind der ungemütliche Buchstabe in der LGBTIQ+ Community: Wir geben uns nicht mit „Born this way“ zufrieden. Wir wollen gleiche Rechte und das Ende des Patriarchats – keinen Staat, keine Gesellschaft hat es zu interessieren, ob wir „so geboren“ wurden oder uns für queeres Leben „entschieden“ haben.

Wir sind „weder noch“, wir sind „sowohl als auch“ – wir sind ein Dorn im Auge des Patriarchats! Wenn das keine phänomenalen Superkräfte sind, weiß ich auch nicht!

Übe es „Ich bin bisexuell“ zu sagen!

Manche Leute wird es sicher wundern, dass ausgerechnet ich, eine bisexuelle Blogger’in und Podcaster’in, Schwierigkeiten habe „Ich bin bisexuell“ zu sagen. Wenn ich gerade nicht mit meiner Bi+Clique rumhänge, erwische ich mich immer wieder dabei, wie mir diese einfache Formulierung schwer von den Lippen geht.

In der queeren Community habe ich sofort den Impuls den Satz „Ich bin mit einer Frau zusammen“ anzuhängen, um mein „Ich bin bisexuell“ mit mehr Legitimität zu unterstreichen. Nach dem Motto: „Hi, ich bin bi, VERURTEILE MICH NICHT, ICH BIN WIRKLICH BI, HIER EIN BEWEIS!“ Das ist natürlich Käse: Ich projiziere meine internalisierte Bifeindlichkeit auf eine andere Person, bevor diese überhaupt Luft holen kann.

Um dem etwas entgegenzusetzen, übe ich seit einiger Zeit laut „Ich bin bisexuell“ oder „Ich bin bi“ zu sagen, zum Beispiel unter der Dusche. Nur den Satz – ohne Kichern, ohne Erklärung, ohne Rechtfertigung. Ohne an vergangene, negative Erfahrungen zu denken. Ohne mir potentielle Reaktionen von Leuten auszumalen, die Bisexualität nicht ernst nehmen. (Kleine Anmerkung: Wie auch beim Meditieren, können solche Assoziationen trotzdem auftauchen. In dem Fall ist es nicht ratsam dagegen anzukämpfen. Besser: Die Gedanken akzeptieren und vorbeiziehen lassen.)

Es fühlt sich mit jedem Tag ein bisschen besser an. Vielleicht kann diese kleine Übung ja auch euch so ein Gefühl vermitteln? Die Praxis normalisiert den Satz „Ich bin bisexuell“ einerseits und gibt mir andererseits ein ermächtigendes Gefühl: Dadurch zeige ich mir selbst, dass ich zu meiner Bisexualität stehe. Nicht dem Rest der Welt, nicht den Leuten, die meinen Blog lesen, sondern mir. Mir und, nun ja, Lutz. 😉

Ich wünsche euch einen wundervollen Bi Visibility Day 2020!

P.S. Ich bitte alle Bisexuellen mit dem Namen Lutz aufrichtig um Vergebung.

3 Kommentare

  • Alina

    Toller Artikel, danke. Es tut gut, sich mal wieder daran zu erinnern, dass der „Born this way“-Diskurs seine Fallstricke hat. Er klingt er doch sehr „rechtfertigend“: Als ob Queerness nur zu „tolerieren“ sei, wenn sie das unwählbare „Schicksal“ einer Person wäre, als ob dagegen die „Entscheidung“ dafür dann doch nur falsch sein könnte. Und verstärkt diese Annahme von „Festigkeit“ nicht auch Angst vor der Fluidität der eigenen Orientierung?
    Die Versuche, mich vor mir selbst zu „rechtfertigen“ für Erfahrungen, die nicht ganz in mein Bild von meiner Queerness passen, kenne ich auch, teils auf einer bi-Ebene, die aber auch viel mit einer a_romantischen zu tun hat. Und selbst wenn ich am Ende des Tages zu der Schlussfolgerung komme, „doch“ „eindeutig auf die Art“ queer zu sein – die Eindeutigkeit feuert dann doch nur gegen andere zurück, die diesem festen Bild (für mich!) weniger entsprechen. Und mich wiederum lässt das verbittern, weil ich mir dann besonders allein und unverstanden vorkomme. Und es beschränkt langfristig, ja, meine Wahlmöglichkeiten.
    Ich bin jedenfalls sehr froh und dankbar, dass tolle Bisexuelle wie du die heteronormative Welt unterwandern. 💙💜❤️ Und dafür, dass es diesen Blog gibt.

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