Café-Stühle
Polyamorie

Das 1. Anxious-Polys-Treffen, ein zweischneidiges Schwert

Nach dem ersten „Anxious Polys Unite“ Stammtischtreffen habe ich gemischte Gefühle. Es gab ein paar schwierige Momente. Damit mein queer-feministisches Selbstverständnis real sein kann, muss mehr Struktur her!


Als ich mit der Orga für den Anxious-Polys-Untite-Stammtisch begonnen hab, habe ich überlegt ob ich den Raum FLT (ein Schutzraum nur für Frauen, Lesben, Transpersonen) labeln will. Weil ich einerseits die Kritik and FLT-Räumen kenne: Sie schließen in der Praxis oft Transfrauen aus, und andererseits aus der queer-feministischen Bubble raus wollte, denn die in meinem Ausgangstext angesprochenen Probleme mit Polyamorie und Ableismus betreffen natürlich auch Cistypen und ich wollte auch Cis-Heteras ansprechen: Ich kenne einige heterosexuelle Cisfrauen, die sich nicht in FLT-Räumen aufhalten, aber mit Poly-Mackern zusammen waren oder sind und diesbezüglich Redebedarf haben. Also machte ich den Stammtisch „offen für alle sexuellen Orientierungen und Geschlechter“.
Hätte klappen können. Es gab aber Probleme. Vielleicht kann es auch klappen, aber dafür muss ich einige Dinge ändern. Deswegen dieser Text.

Auch wenn der Stammtisch so offen ist wie er ist, muss klar sein, dass mein Selbstverständnis und mein Anspruch queer-feministisch ist, d.h. es gibt ein paar Verhaltensregeln für einen respektvollen Umgang miteinander. Außerdem plane ich für nächsten Monat noch jemanden ins Boot zu holen, die_der mit mir zusammen Awareness macht (also die Ansprechperson ist, wenn es Grenzüberschreitungen gibt usw.)
Ich seh das 1. Treffen als sozusagen Testlauf und weiß nun an welchen Stellen es Probleme gab. Ich werde den Stammtisch weniger öffentlich bewerben, um so ein bisschen mehr Kontrolle darüber zu haben, über welche Kanäle Menschen darauf aufmerksam werden. Wenn alle Stricke reißen? Plan B ist mich doch mit einem FLT oder vergleichbarem Konzept zurück in die queer-feministische Ecke zu verkriechen. Aber ich bin optimistisch und hoffe, dass das nicht passieren muss und gebe der offenen Runde eine Chance.

Ergänzung (11.3.2016) Ein Kommentar hat mich darauf gebracht zu hinterfragen, was ich geschrieben hab. Es wirkt, als würde ich eine Gleichung aufmachen „FLT = queer-feministisch“, was Quatsch ist! Bei FLT sind Heteras willkommen, während es Cis-Schwule nicht sind… und außerdem fühlen sich noch eine Vielzahl anderer, oft queerer Leute in diesen Kreisen unwohl, obwohl sie „mitgemeint“ sind. Hinzu kommt das Passing, das eins an diesen Orten braucht. Wie in dem Kommentar steht: Bei FLT kommt nicht DIE queerfem-Bubble, sondern nur Teile davon.
Warum ich hier in Erwägung zog (auch wenn das der Notfallplan ist) den Raum FLT zu gestalten, lag einfach daran, dass ich diese Strukturen gewöhnt bin und die Macker durch das Label (meistens) von alleine wegbleiben. Eine offenere Runde ist aber nicht weniger queer-feministisch!

Dass es zu Problemen kam, lag daran, dass nicht alle Leute das gleiche Selbstverständnis für den respektvollen Umgang miteinander hatten, das wiederum auch mit Privilegien zusammenhängt. Doch Privilegien sind in einem FLT-Raum genauso vorhanden und ein FLT-Raum ist alles andere als eine Garantie dafür, dass keine Kackscheiße passiert.

1. Pronomen akzeptieren!

So wie heute, wird es immer eine Pronomenrunde geben, nur mit dem Unterschied, dass ich beim nächsten mal den Stammtisch offiziell damit eröffnen werde. Dazu wird es Kreppklebeband & Edding geben, wo jede_r Namen und Pronomen aufschreiben kann. Warum ist das wichtig? Cispersonen haben das Privileg sich keine Gedanken darum machen zu müssen, ob mit dem richtigen Pronomen über sie gesprochen wird. Für Transpersonen und nicht-binäre Menschen ist es sehr unangenehm in einer solchen Runde als einzige sagen zu müssen, welches Pronomen sie bevorzugen. (Infotexte über Gender-Pronomen und die Etiquette hier, hier und hier auf deutsch, u.a warum Pronomenrunden wichtig sind). Wenn sich alle mit ihrem Pronomen vorstellen, ist es für alle Beteiligten einfacher, as simple as that.

2. Identitäten und Selbstbezeichnungen akzeptieren!

Es ist schön für dich, wenn du sagen kannst du bist „gegen Schubladen“ und du siehst diese und jene Person „nur als Mensch und nicht als lebsisch/schwul/genderqueer“ whatever. Dass du so einfach Schubladen ablehnen kannst liegt sehr wahrscheinlich daran, dass du sowieso ziemlich der Norm entsprichst (weiß, cis, hetero…) und Schubladen/Labels/Selbstbezeichnungen für dich nicht als relevant erscheinen. Es ist aber sehr verletztend jemandem zu sagen „Ich sehe dich nur als Mensch“ (oder auch „Wir sind doch alle gleich“, „Sei doch einfach du selbst!“), weil du damit deren Identität_en und auch Diskriminierungserfahrungen delegitimierst. 

Wenn du „so offen“ bist, dass du keine Schubladen brauchst, sei bitte auch so offen zu akzeptieren, dass andere Menschen diese Schubladen sehr wohl brauchen und dass das vollkommen legitim ist. Stelle ihre Identitäten und Selbstbezeichnungen nicht in Frage: It’s none of your business, after all.

3. Menschen marginalisierter Gruppen sind nicht deine Lehrer_innen!

Es ist vollkommen in Ordnung nicht über alles Bescheid zu wissen. Es ist aber nicht in Ordnung davon auszugehen, dass Vertreter_innen diskriminierter Gruppen dir bereitwillig alles erklären. Stell dir vor, du musst dich zum Beispiel für deine Behinderung sowieso ständig rechtfertigen und willst heute Abend einfach in Ruhe deinen Orangensaft schlürfen und über Polyamorie reden, doch stattdessen wirst du in ein Gespräch verwickelt, in dem du erklären sollst, was es mit Ableismus an und für sich auf sich hat. Unangenehm, nicht wahr?

Wenn du also neugierig bist, frag einfach, ob es gerade okay für die Person ist, dass du diese Fragen stellst und akzeptiere ein „Nein“. Oder vielleicht ist der andere Mensch neben dir, der selbst nicht betroffen ist, informiert und hat sogar Lust deine Fragen zu beantworten? Oder beschäftige dich zuhause damit. Für Informationen über Feminismus, LGBTI+, Rassismus, Ableismus und Klassismus auf Englisch empfehle ich z.B Everyday Feminism, für den Einstieg die Kategorie „Fem 101“.

4. Was tun, wenn es zu Grenzüberschreitungen kommt?

Im Fall von diskriminierendem und anders grenzüberschreitendem Verhalten, kannst du gern mich (und die andere Person, die noch mit ins Boot kommt) ansprechen: Wir können dann, je nachdem was du möchtest, mit den Leuten reden und das mit ihnen ausdiskutieren oder sie auch vor die Tür setzen. Ich habe heute gehört, dass das Café Morgenrot so etwas ohne viel Tamtam durchzieht: Also, wenn dir das lieber ist, kannst du dich auch gleich an die Leute vom Tresen wenden. Zu einer Awareness-Struktur gehört natürlich mehr als das, mit dem Punkt werde ich mich also noch genauer befassen müssen.

Ich werde diese und noch andere Punkte in gekürzter Form ausdrucken, beim nächsten mal mitbringen und gut sichtbar auf dem Tisch liegen lassen. Mein Ziel mit diesem Text ist auch, so transparent wie möglich den Orga-Prozess und die damit verbundenen Fragen und Probleme zu machen. Ich möchte auch erwähnen, dass ich selbst nur ein Mensch bin und somit nicht die ganze Verantwortung, dass es für alle schön wird, bei mir liegen kann: Ich gestehe, dass es mir oft schwer fällt rechtzeitig zu intervenieren, bzw. ist das bei mir sehr von der Tagesform abhängig. Während ich mir im Kopf zurecht lege wie ich etwas, zu welchem Zeitpunkt richtig anspreche und dabei alle möglichen Worst-Case-Szenarien durchgehe (wer Anxiety hat, kennt das vielleicht), haben andere längst die Klappe aufgemacht. Falls es also Menschen gibt, die sich das mehr zutrauen, darin vielleicht sogar geübter sind und mich gerne supporten wollen: <3

Die einen oder anderen werden vielleicht fragen: Und was war am 1. Treffen positiv? Für mich persönlich: Einiges. Nur leider bin ich doch sehr gestresst von den Problemen und meiner Suche nach Lösungsvorschlägen, dass ich darüber vermutlich erst in den nächsten Tagen schreiben kann.

In diesem Sinne: Gute Nacht!

5 Kommentare

  • Anni

    Ich hatte es nicht geschafft, möchte aber sehr gerne beim nächsten mal dabei sein. Die Gedanken die du dir gemacht hast, klingen für mich sehr gut und ich denke, dass das schon ein guter Raum werden könnte.

    Ich könnte mir vorstellen auch mit awareness zu machen, wenn ich da bin.

    Ich denke viele Räume profitieren davon sie nicht flti zu labeln (ich teile deine Kritik an dem Label und könnte die auch noch weiter ausführen) sondern als „cis Männer frei“.

    Ich hoffe das wir uns nächstes mal sehen ,

    Liebe Grüße ,
    Anni

  • distelfliege

    ich würde auch noch dazu sagen wollen, dass bei flt beschränkung nicht die queerfeministische bubble angesprochen wird, sondern ein teil davon.
    mein queerfeministischer stricktreff ist zb schwul initiiert und organisiert worden.
    bei flt sind cisfrauen, auch heteras, mit angesprochen, aber queers, die cismännlich sind, nicht. was doch schade wäre..
    lets not be „reversed queer.de“

    • Tochter Kampfstrumpf

      Ja, du hast eindeutidg recht. Nun finde ich meine Aussagen in dem Text etwas absurd. (Ich mach da gleich noch eine Ergänzung hin) Klar, es kommen nur Teile der Bubble, die sich in FLT-Räumen wohl fühlen und die, die nicht wie Cis-Schwule ausgeschlossen werden. Reversed „queer.de“ ist auf keinen Fall mein Anspruch.

  • Eddi

    Hallo,

    ich hab eben durch Zufall von diesem Stammtisch gelesen und war froh, dass es sowas für Unsichere wie mich gibt.

    Allerdings bin ich ein Hetero-Mann – gehöre also zumindest auf dem Papier zu der Sorte Mensch, mit der es anscheinend öfter mal Probleme gibt.

    Wie ist denn der zweite Stammtisch verlaufen? Sind die weiteren Stammtische jetzt FLT-only – und falls ja: Weißt du vielleicht, ob es eine ähnliche Veranstaltung gibt, die mir weiter helfen könnte? Vorzugsweise natürlich auch ohne die Idioten unter meinen Geschlechtsgenossen.

    Danke schon mal im Voraus für die Antwort.

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