Anxious Polys Unite!
Nicht wir Neurodivergenten, Eifersüchtigen und Unsicheren sind das Problem, sondern Poly-Ideale!
CONTENT WARNING: Polyamorie und Ableismus, Erwähnung von Selbsverletztendem Verhalten im Abschnitt „Psychische Erkrankung versus abusive Relationship?“
Immer wenn ich mich in Poly-Kreisen aufhalte oder einen Ratgeber für polyamoröse Beziehungen aufmache, merke ich, dass ich nicht gemeint bin. Mein Eindruck ist oft, dass Polyamorie wie sie dort besprochen wird, für Menschen gedacht ist, die selbstbewusst und emotional stabil sind und auf keinen Fall eine psychische Krankheit haben. Oft stoße ich auf das romantisierte Bild vom Hippie-Poly-Haufen, wo die Partner_innen immer perfekt kommunizieren können und Eifersucht durch die einschlägigen Techniken kein allzu belastendes Problem darstellt. Ich kann verstehen, warum dieses Bild verwendet wird: In einer Gesellschaft, in der polyamorösen Menschen von allen Seiten gesagt wird, dass das ja sowieso nicht funktionieren kann. sind positive Darstellungen sehr nötig. Nur leider nicht sehr hilfreich für diejenigen, die sich überhaupt nicht darin wiederfinden können. Im Gegenteil: Sie erzeugen Druck diesem Bild zu entsprechen, sowohl in Poly-Kreisen als auch in der Monowelt, die jede Unsicherheit als den Anfang vom Ende wahrnimmt.
Dieser Text ist für alle, die in nicht-monogamen Beziehungen leben, ob sie sich poly, halb-poly, mono_flexibel oder ganz anders labeln, die mit Depressionen und/oder Anxiety, auf deutsch Angsterkrankungen, zu kämpfen haben und/oder mit mehr Unsicherheiten und Eifersucht umgehen müssen als andere Polys.
Wenn ich das mal karikieren darf: Nach perfektem Poly-Normbild müsste jemand, der plötzlich sehr wütend oder eifersüchtig wird, drei mal tief durchatmen, dem Herzmenschen in gewaltfreier Kommunikation seine Gefühle mitteilen, ins Nebenzimmer gehen, ein Räuchestäbchen anzünden und drei mal selbstverantwortungsvoll in ein Kissen boxen. Anschließend eine geführte Selbstliebe-Meditation auf Youtube suchen. Ich weiß, ich weiß #NotAllPolys, doch ich bin nicht die einzige, für die sich die Friede-Freunde-Eierkuchen-Darstellungen und Ratschläge so anfühlen.
Das Ideal der Selbstverantwortung: Weg damit!
Was mir Poly-Kreise und Poly-Ratgeber vor allem beigebracht haben: Meine Unsicherheiten sind mein Problem. Als „richtiger“ Poly belaste ich meine Partner_innen möglichst wenig mit meinen Gefühlen und handle immer vernünftig. Was passiert wenn all die fancy Techniken, Ratschläge einfach nicht funktionieren? Dann bin ich wohl ein hoffnungsloser Fall. Ich bin aber trotzig und sage: Nö, dann passt etwas nicht an dem Konzept der Selbstverantwortung.
Das Ideal der Selbstverantwortung kotzt mich an, weil es Menschen lediglich als Individuen denkt und nicht als soziale, bedürftige, abhängige Wesen innerhalb von Beziehungsgeflechten. „Das ist IHR Leben! Misch dich da nicht ein!“ riet mir mal ein superschlauer Polymacker. Klingt erst mal logisch: Selbstbestimmung und so. Aber ich führe mit meiner Freundin kein klar voneinander getrenntes, unabhängiges Leben, sondern – unter anderem, auch ein gemeinsames, in dem wir viele verschiedene Dinge aushandeln müssen. Wenn es in der einen Poly-Beziehung kriselt, reflektiert sich das oft auch in den anderen. Ich kann mich natürlich auf meine Selbstbestimmung berufen und meiner Herzperson sagen: „Jo, ich bin dann mal eben in Buxtehude, bis in einem Jahr oder so. Dass du traurig bist, ist jetzt aber echt dein Problem.“ Wahrscheinlich wird keiner, der kein Arschloch ist, einfach abhauen ohne vorher Grenzen, Bedürfnisse, Verbindlichkeiten ausgehandelt zu haben. Also warum ist Arschlochsein bei Polythemen okay?
Sicherlich ist es nützlich sich um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern und das eigene Leben im Fokus zu haben, wenn eins das gerade kann. Aber ich halte es für eine Sackgasse einerseits von funktionierenden Beziehungsnetzwerken zu sprechen und andererseits eine Rhetorik der Selbstverantwortung zu fahren, die sich schnell nicht mehr von neoliberaler Selbstoptimierung unterscheidet. Wann haben wir angefangen unsere Eifersucht wegzuoptimieren und aufgehört für einander da zu sein? Und vor allem: Wer sich in einem depressiven Tief als Belastung für die ganze Welt sieht und alles auf die eigenen Schultern lädt, dem hat ein „deine Gefühle – dein Problem“ gerade noch gefehlt.
„Du musst dich selbst lieben, um andere lieben zu können!“
Ich hab mal einen alten Poly gefragt, was er gegen seine Eifersucht unternimmt. Dieser meinte: „Ich hab gemerkt, dass Eifersucht auf ein Problem mit meinem Selbstwertgefühl zurück zu führen ist. Deshalb kümmere ich mich einfach um mich und es wird besser.“ Wenn das funktioniert, ist das großartig. Dummerweise haben Depressionen und Angsterkrankungen den Ruf sich ziemlich doll aufs Selbstwertgefühl auszuwirken. Da kann Selfcare sehr nützlich sein, doch die Ergebnisse werden anders aussehen. Jeder hat schlechte Tage, doch wenn diese Tage zu Wochen oder Monaten werden, dann ist Eifersucht nicht einfach durch ein bisschen Selfcare zu bewältigen. Wenn sich Verlustängste in körperlichen Symptomen wie Schwindel, Zittern und Panikattacken äußern, ist der Kampf gegen ebendiese größer.
Selbstwertgefühl ist etwas, das scheinbar als Grundvoraussetzung gesehen wird, eine gesunde Beziehung zu führen. „Du musst dich selbst lieben, um andere lieben zu können!“ ist ein gut gemeinter Rat, der im Subtext ausdrückt: Wenn du dich z. B aufgrund einer Depression nicht selbst lieben kannst, ist deine Liebe eine Lüge. Ja, Depressionen wirken sich auf Beziehungen aus: Wenn ich kaum etwas fühle, dann hängt auch über der Liebe ein Grauschleier. Aber ich muss nicht Teil eines glücklichen, neurotypischen Hippie-Haufens sein, um liebevolle Beziehungen zu führen. Meine Depression und meine Anxiety machen mich nicht beziehungsunfähig oder weniger liebenswert.
Die Abwertung von Eifersucht
Einige Polys, die ich kenne, sind fleißig dabei Mononormativität zu analysieren und aufzuzeigen, wie Eifersucht als Liebesbeweis konstruiert wird. Wer hat noch nie den furchtbaren Satz gehört: „Wenn du nicht eifersüchtig bist, ist es keine Liebe“? Eifersucht ist in monogamen Beziehungen normalisiert. Es gibt aber in der Mainstreamgesellschaft gleichzeitig die Abwertung von eifersüchtigen Menschen, vorwiegend Frauen, was bei der Analyse gerne ausgelassen wird. Deutlich wird es z. B in weisen Worten wie „Ein wenig Eifersucht würzt den Braten, zu viel macht ihn ungenießbar“ oder auch in Rockstar-Biopics wie „Walk the Line“ und „Control“: Die eifersüchtigen Ehefrauen werden als langweilig, nervig und „hysterisch“ gezeichnet, die unabhängigen Künstlerinnen, die die Rockstars auf Tour kennenlernen, idealisiert. Es gibt durchaus das gesamtgesellschaftliche, sexistische Ideal der unkomplizierten Partnerin, die nie eifersüchtig ist… damit der Typ seine Ruhe hat. Dass sich dieses Idealbild übertragen auf alle Gender und Orientierungen in Poly-Kreise einschleicht, sollte verhindert werden, weswegen es in der Analyse von Eifersucht nicht fehlen darf! Da hängt ein Rattenschwanz dran, der aussagt: Nur unkomplizierte, unabhängige Menschen sind für Beziehungen attraktiv. Das stinkt auf so vielen Ebenen und ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die aufgrund von Marginalisierung, Traumata, psychischen Krankheiten, Behinderungen etc. nicht unkompliziert und/oder unabhängig sind/sein wollen.
Psychische Erkrankung versus abusive Relationship?
So wichtig wie ich es finde über toxische Dynamiken innerhalb von Beziehungen zu sprechen, so skeptisch bin ich, wenn konkretes Verhalten isoliert als abusive betrachtet wird. Zeig mir drei Typen, die erzählen, wie sehr sie von ihren Ex-Freundinnen mit Borderline Syndrom manipuliert wurden und ich zeig dir mindestens einen, der seinen Ableismus und Sexismus nicht reflektiert.
Natürlich können Partner_innen mit psychischen Erkrankungen abusive sein, doch wenn ebendiese unter Generalverdacht stehen, kann etwas nicht stimmen. Unkontrollierte Wut- und Eifersuchtsausbrüche werden gern als kindisch, unvernünftig und im schlimmsten Fall Manipulation interpretiert. Es erscheint Menschen logischer, dass jemand, vor allem eine Frau, bewusst „eine Show abzieht“, als dass die Person gerade einfach nicht klarkommt. Wenn die gleiche Logik auf z. B Panikattacken angewandt wird, wird es gruselig. Wer schon mal eine hatte, wird seinem schlimmsten Feind so etwas nicht wünschen, geschweige denn eine vortäuschen.
Ein anderes Beispiel wird oft als Anzeichen für abusive Beziehungen genommen: Selbstverletzendes Verhalten (SV). Während bei einer Drohung wie „Wenn du das machst, verletze ich mich selbst“ zurecht die Alarmglocken losgehen, ist es sehr ableistisch SV mit Abuse gleichzusetzen. Die betroffene Person weiß am besten, was das Verhalten bedeutet, oft ist es eine Coping-Strategie. Bevor also davon ausgegangen wird, dass damit manipuliert werden soll, wäre es schlauer darüber zu reden, was es tatsächlich bedeutet und wie damit umgegangen werden kann. Ich weiß, dass das ein schwieriges, heikles Thema ist, zu dem es noch viel zu sagen gibt. Mein Punkt ist: Ich wünsche mir einen mutigeren Ansatz über toxische Dynamiken innerhalb von Beziehungen zu sprechen, der Ableismus nicht ausklammert.
Zwischen Selbsthilfe und Self-Gaslighting
Gaslighting ist eine Abuse-Strategie, bei der jemand die Wahrnehmungen und Gefühle einer Person leugnet, verdreht, verändert, sodass die Person anfängt an ihrer Realität zu zweifeln. Seit kurzem weiß ich, dass es möglich ist sich selbst zu gaslighten. Als jemand, die in der Kindheit und in vergangenen Beziehungen oft Gaslighting erlebt hat, kann ich leicht in alte Denkmuster verfallen und meine eigenen Wahrnehmungen und Gefühle manipulieren.
So habe ich angefangen all meine Probleme mit Polyamorie in der Praxis auf meine Depression zu schieben: Ich bin nicht wirklich eifersüchtig, ich bin bloß depressiv. Ich will diese Beziehung so leben, ich fühl das gerade bloß nicht, weil ich depressiv bin. Bevor ich mir erlaubt habe ein Gefühl zu fühlen, habe ich mich bereits dafür verurteilt und es beiseite geschoben. Und die Techniken gegen Eifersucht – sei es z. B die beliebte Krake, wo eins analysieren soll welches Gefühl hinter der Eifersucht steckt, spielte da sehr gut rein: Bevor ich das Gefühl fühlen und akzeptieren konnte, habe ich es analysiert und mir meine Wahrnehmung ausgeredet: Das ist ja eigentlich XY, ich bin bloß überempfindlich. Das habe ich solange gemacht, bis ich überhaupt nicht mehr wusste, was ich fühle/nicht fühle, will/nicht will, was meine „authentischen“ Gedanken waren usw. Mir ist klar, dass hinter der Krake eine gute Idee steckt, die anscheinend für viele funktioniert.
Doch bevor mir die Krake und Co. helfen können, brauche ich ganz andere Affirmationen: Deine Gefühle sind legitim, du darfst fühlen, was du fühlst, du darfst deiner Wahrnehmung trauen, du darfst verletzt sein, es ist in Ordnung von Veränderungen überwältigt zu sein. Bevor ein Tool für Arbeit mit Emotionen gefeiert wird, sollte klar gemacht werden, dass nicht alle Menschen die gleichen emotionalen und mentalen Kapazitäten mitbringen, bedingt durch psychische Krankheiten, Traumata, Abuse-Erfahrung und… weil Leute eben nicht alle gleich gestrickt sind.
Ich will nicht das Gefühl haben das Scheitern an irgendwelchen fancy Techniken sei meine eigene Schuld. Die Technik ist nicht universell. Sich diese Arbeit aufzubürden sollte ebenfalls nicht als Voraussetzung oder eine Art Poly-Eintrittskarte gehandhabt werden.
Und nun?
Ich habe hier einige Themen angerissen, die ich als unterrepräsentiert empfinde – die können und sollen noch weiter vertieft und mit weiteren Perspektiven, vor allem bezogen auf psychische Erkrankungen, angereichert werden. Deswegen freue ich mich über Kommentare und plane bald in Berlin einen „etwas anderen Polystammtisch“ zu gründen mit dem Titel „Anxious Polys Unite!“ – für Polys, Vielleicht-Polys, Doch-nicht-Polys, gescheiterte Polys, Mono-Polys, Monoflexible und alle, die bei anderen Poly-Stammtischen ihr Augenrollen unterdrücken müssen.
Wahrscheinlich wird er eine Mischung aus gemütlichem Zusammensitzen, Selbsthilfegruppe und Diskussionsrunde. Wenn sich (nicht nur auf dem Stammtisch) genug Leute finden, die eigene Texte zu diesen und ähnlichen Themen teilen wollen, würde ich anstreben ein Zine herauszubringen. Vielleicht ergeben sich auch andere Dinge: Gruppenblogs? Veranstaltungen? Podcasts? Ein alternativer Poly-Ratgeber? Bevor ich ins Träumen verfalle: Ich freue mich über spannende Diskussionsansätze und über alle Synergien, die entstehen können! Mehr Infos gibt’s bald hier. 🙂
Lesetipps
Hier einige Texte über die Überschneidung von Polyamorie mit psychischen Krankheiten und kritische Perspektiven auf den Umgang mit Unsicherheiten und Eifersucht:
- Clementine Morrigan: Can Crazy People Be Poly?
- Jessica: Anxiety Disorders and Polyamory („Polyamory on Purpose“)
- Jessica: Depression and Polyamory („Polyamory on Purpose“)
- Depression and Self-Gaslighting („Brutereason“) <- Polyamorie ist auch Thema!
Update: Am 6. Februar 2016 um 18 Uhr gibt es ein Vorab-Treffen für den Stammtisch, im Café Morgenrot, Kastanienallee 85, 10435 Berlin (U Eberswalder Straße). Der Zugang ist barrierearm. Falls ihr kommen wollt, wäre es großartig, wenn ihr Bescheid geben könntet, dann kann ich ggf. einen Tisch reservieren.
17 Kommentare
Katzi
Danke, danke, danke. Das ist schon alles.
Natanji
Hey, vielen Dank für deinen Text, großartig! Bei mir hat das ganz vieles angestoßen, ich kommentiere mal ein paar Dinge.
Meines Erachtens geht oftmals was schief, wenn Ideale wie gelebte Realität behandelt werden. Bei der Selbstverantwortung ist das so etwas. Ich finde, als *Ideal* gibt es gute Gründe dafür, sich in diese Richtung zu bewegen: das Ziel ist es ja, Abhängigkeitsverhältnisse einer Person von ihren Partnerpersonen zu verhindern. Es geht also im Grundsatz darum, bestimmte Macht- und Kontrollstrukturen (wie sie patriarchal in den meisten Beziehungsvorstellungen „gewünscht“ sind) abzubauen und das ist ja durchaus eine feine Sache. Im Poly-Kontext wird das aber viel zu oft als Anspruch an andere missbraucht, und dann passiert der ganze Mist, den du ansprichst. Und darüber müssen wir reden und ich bin unendlich dankbar, dass du das tust. Wenn eins immer nur „Selbstverantwortung“ faselt, wird dabei das ausgeblendet, was für mich eigentlich den wesentlichen Punkt von Beziehungen ausmacht: füreinander sorgen! Natürlich können einzelne für sich entscheiden, keine Care-Arbeit machen zu wollen und daher nur unkomplizierte(tm) Beziehungen führen zu wollen, aber da scheint mir ein füreinander da sein komplett auf der Strecke zu bleiben. Poly-Beziehungsnetze können aber in meiner Erfahrung auch erstklassige Supportnetzwerke sein.
Dieser Mist mit dem Zwang zur Selbstliebe kann wirklich weg. Ja, es hilft mir tatsächlich, dass Leute mir öfter sagen „hey, kümmerst du dich genug um dich selbst?“ – sonst passiert sowas wie im Dezember, den ich mir so zugeplant habe, dass ich nur einen einzigen (!) Abend alleine verbracht habe. Das hat sehr an mir gezehrt. Aber „selfcare“ ist kein Zauberwort, und vor allem finde ich es ziemlich beschissen, wenn „mach doch selfcare“ irgendwie Teil einer momentan gefühlten Ablehnung (-> Eifersucht) wird. Da hab ich bestimmt viel Lust mich um mich selbst zu kümmern, wenn wer mir das in so nem Moment sagt, nech? ._.
Und darum habe ich mich auch total gefreut, diese Sätze hier zu lesen: „Doch bevor mir die Krake und Co. helfen können, brauche ich ganz andere Affirmationen: Deine Gefühle sind legitim, du darfst fühlen, was du fühlst, du darfst deiner Wahrnehmung trauen, du darfst verletzt sein, es ist in Ordnung von Veränderungen überwältigt zu sein.“ -> Genau das! Ich brauche dann erst einmal Bestätigung der reinen Gefühle. Kommt die nicht, steigere ich mich sogar eher in die unangenehmen Gefühle hinein, um meinem Gegenüber zu zeigen „aua, das tut wirklich weh und geht gerade nicht so leicht weg!“. Von meiner Seite aus hängt daran kein „du, andere Person, bist nun verantwortlich mein Problem zu lösen“ dran. Aber oftmals geht die Reaktion anderer eben viel zu oft in eine ganz andere Richtung: das Problem kleinreden bzw. konkrete Lösungsvorschläge und Strategien unterbreiten, während ich gerade die Sicherheit brauche, dass meine Gefühle so erst einmal sein dürfen. Das weiß ich manchmal nicht von mir selbst aus. Gerade in so einem schwachen Moment.
(Sidenote, weil es mir gerade auffällt: auch das Wort „brauchen“ wird im Zusammenhang mit Poly oft geschmäht, á la „Du brauchst ja nur Wasser und Luft und ein Dach überm Kopf, bei anderen Stellen bist du ja gar nicht so abhängig“ -> Ich finde auf eigene Sprache zu achten kann durchaus *eine* Strategie sein, die für manche funktioniert, um sich aus eigenem Abhängigkeitsgefühl zu lösen. Aber jedes Wort so auf die Waagschale legen kommt auch manchmal vor, und in den meisten Momenten nervt es, derailt + gaslighted.)
Ein bisschen schwierig finde ich noch deine Gedanken zu Manipulation in Beziehungen. Auch wenn der Macker Ableismus und Sexismus nicht reflektiert hat, kann es durchaus sein, dass die Handlungen seiner Partnerin ihn manipuliert haben (das las sich für mich nach einem „Fehler gegeneinander aufwiegen). Vielleicht hast du das anders gemeint und ich habe das bloß nicht kapiert? Oder sprichst du bloß von dem Vorwurf der bewussten Manipulation (weil klar, der ist superkacke)?
[CN SVV] Was ich nämlich in den meisten Beziehungen erlebe, ist nicht bewusste, sondern vollkommen unbewusste + ungewollte Manipulation. Ich war auch mal mit einer Person zusammen, die in Streitsituationen angefangen hat sich selbst zu verletzen – als Coping-Strategie und teils deshalb, weil ich sie überzeugt hatte, dass ich einen Punkt hatte/irgendwo recht hatte und sie sich infolgedessen falsch und wertlos vorkam. Egal ob das eine Coping-Strategie ist: so etwas macht mit der das Ansehenden Person auch etwas und baut damit neue Machtdynamiken auf. Sorgt z.B. dafür, dass du Dinge zurücknimmst, die dir inhaltlich eigentlich wichtig waren, weil du nicht willst, dass das nochmal passiert. Das ist eben eine (ungewollte) Manipulation. Das gilt auch für alle anderen Verhaltensweisen und Coping-Strategien von durch psychische Krankheiten, Traumata und Abuse-Erfahrungen betroffenen Personen; im schlimmsten Fall triggert das eine Coping-Verhalten wieder im anderen etwas und dann geht alles noch furchtbarer schief.
Ich habe für so etwas keine Antworten und finde das Thema auch unfassbar schwierig; also ja, wir sollten da definitiv mehr drüber reden (auch egal ob Poly oder Mono, by the way!). In meinem Bekanntenkreis trägt fast jeder Mensch so etwas mit sich herum, der Default ist also „psychische belastete Person mit anderer psychisch belasteter Person“. Du hast total Recht, dass es wichtig ist miteinander darüber zu sprechen, was einzelne Coping-Strategien in bestimmten Situationen bedeuten. Um das zu ergänzen: es ist auch wichtig, sich Gedanken zu machen wie neue Coping-Strategien aussehen könnten, wenn die aktuellen beim Gegenüber eben unweigerlich einen manipulierenden Effekt haben, der sich auch in vollem Bewusstsein über die Bedeutung einer Handlung als Coping nicht wegdiskutieren lässt.
Achja, worüber eins in diesem Zusammenhang als gesondertes Thema übrigens noch schreiben könnte, wären Poly-Gruppendynamiken. Wenn dir eine einzelne Partnerperson sagt, verhalte dich doch bitte so und so, ist das evtl schlimm – wenn die Metamours aber noch dazu kommen, und es sich anfühlt als hättest du ne ganze Gruppe gegen dich, dann wird das ganze wirklich unerträglich (Gaslighting ist außerdem so viel effektiver, wenn es von ner ganzen Gruppe kommt!). Auch an dieser Stelle wird m.E. viel zu wenig über Strategien gesprochen, wie eins damit umgehen kann oder derartige Dynamiken möglichst vermeidet. Nur so als Denkanstoß. 🙂
Tochter Kampfstrumpf
So, endlich finde ich die Zeit auf deinen Kommentar einzugehen.
Danke für dein Feedback und die ermutigenden Worte!
Zunächst der Punkt mit der Selbstverantwortung: Ich verstehe, was du meinst mit dem Ideal, an dem eigentlich nichts schlechtes ist, weil der Anspruch Abhängigkeitsverhältnisse in Beziehung abzubauen, ein ziemlich guter ist. Nun stelle ich fest, dass tatsächlich „Norm“ das bessere Wort ist, weil so wie ich das in Poly-Kreisen erlebt habe, war es selten bloß ein Ideal im Sinne von Anspruch, sondern es wurde Druck ausgeübt von Leuten, denen es weniger schwer fiel diesen Anspruch zu erfüllen oder die gar nicht den Anspruch haben Abhängigkeitsverhältnisse konstruktiv abzubauen, sondern es eher cool finden, dass sie tun und lassen können, was sie wollen. Auch wenn ich verstehe, warum das Ideal einen guten Kern hat: Es ist entlang verschiedener Intersektionen nicht für alle so erfüllbar – eine Kombi aus Verantwortung für sich UND andere sieht da schon besser aus. Wenn eine gute Idee immer neoliberalere Züge bekommt, was leider mein Eindruck ist, gruselt es mir.
Zum Thema Manipulation: Ja, mir ging es vor allem um den Vorwurf der bewussten Manipulation. Wir manipulieren alle, dass ist mir klar und wenn jemand Emotionen äußert, ist es logisch, dass Leute darauf reagieren und sich auch anders verhalten. Über diese Dynamiken, die zu Problemen führen können, zu sprechen finde ich gut und wichtig.
Was ich vor allem im Kopf hatte ist das Szenario: Person A fängt an zu weinen und Person B sagt: „Du weinst bloß, um mich zu manipulieren!“, wodurch Person B die Emotionen ihres Gegenübers diskreditiert und ihr daraus einen Strick dreht. Diesen Vorwurf habe ich schon ziemlich oft (nicht nur in Poly-Kontexten) erlebt – was ich daran ironisch finde: Ich weiß, dass wenn ich vor bestimmten Leuten meine Gefühle nicht im Griff habe, ich mit diesem Vorwurf rechnen muss. Wenn ich mir also tatsächlich überlegen würde „eine Show abzuziehen“, wäre meine letzte Option mich verletzlich zu zeigen.
Ich kenne auch mehrere Typen, die beklagen wie sehr sie ihre Ex-Freundinnen mit Borderline Syndrom (bewusst, böswillig) manipuliert haben sollen und als ich dann irgendwann mal nachgefragt hab, musste ich feststellen, dass sie nie mit den Ex-Freundinnen darüber geredet haben! Das fand ich echt krass herablassend! (Der eine dachte auch, er hätte den Durchblick, weil er einen Wikipedia-Artikel gelesen hat. O.o)
[TW: Selbstverletztendes Verhalten, Coping Strategien]
Was du zu Coping-Strategien zu sagen hast, finde ich sehr interessant.
„Es ist auch wichtig, sich Gedanken zu machen wie neue Coping-Strategien aussehen könnten, wenn die aktuellen beim Gegenüber eben unweigerlich einen manipulierenden Effekt haben, der sich auch in vollem Bewusstsein über die Bedeutung einer Handlung als Coping nicht wegdiskutieren lässt.“
Ja, der Meinung bin ich auch! Das Thema ist nicht damit gegessen, dass klar ist, dass etwas eine Coping-Strategie ist. Über Coping-Strategien, die nicht „vernünftig“ aussehen („selbstverantwortungsvoll in ein Kissen boxen“) und SV reden zu können, öffnet hoffentlich den Raum auch weiterführende Probleme anzupacken.
Was du über Gruppendynamiken schreibst, finde ich auch interessant. Dazu hab ich halt keine Erfahrungen, glücklicherweise. Über Gaslighting, das von einer ganzen Gruppe kommt, hab ich noch nie nachgedacht. Es ist auf jeden Fall ein ziemlich wichtiges Thema, zu dem ich mir noch Gedanken machen will.
Falls die Idee mit dem Zine realisiert wird und du was beisteuern willst (nicht unbedingt über Poly-Gruppendynamiken, was du magst ^^) freue ich mich sehr. 🙂
nachtsonnen
„Deine Gefühle sind legitim, du darfst fühlen, was du fühlst, du darfst deiner Wahrnehmung trauen, du darfst verletzt sein, es ist in Ordnung von Veränderungen überwältigt zu sein.“
Das ist so richtig und wichtig! Ein Gefühl ist erstmal einfach da und weder gut noch böse. Es ist gut zu wissen, was eins da gerade fühlt, und ja es kann überwältigend sein.
Stefan
[Triggerwarnung: ABLEISMUS] – Anmerkung von der Autorin
„Meine Depression und meine Anxiety machen mich nicht beziehungsunfähig oder weniger liebenswert.“
Doch, leider schon.
Es mag hart klingen, aber für deine Depressionen bist (nicht immer) aber primär du selbst verantwortlich.
Ob jetzt Krankheit oder nicht: in 80-90% aller Fälle sind sie selbstverschuldet.
Viel Glück.
Stefan
Tochter Kampfstrumpf
Hallo Stefan.
Danke für nichts. Ah doch, danke, you’re proving my point! Wenn du der Meinung bist Menschen seien durch psychische Krankheiten weniger liebenswert oder beziehungsunfähig, bist du so geradeaus ableistisch, dass es sich vermutlich nicht mal mehr lohnt, dir zu erklären, warum diese Ansicht menschenverachtend und zutiefst verletztend ist.
Aber mal ein ganz anderer Punkt: Nehmen wir an, du hast absolut recht und meine Depression ist selbstverschuldet. Ist es deswegen okay scheiße behandelt zu werden? Hast du ne Checkliste und überprüfst wie selbstverschuldet die Probleme und Krankheiten deiner Freund_innen sind, bevor du für sie da bist? Nach der Logik müsstest du ja auch okay finden, dass jemand kalt zurückgewiesen wird, der einen Autounfall hatte. Er war ja selbst Schuld daran, hätte er mal das Verkehrsschild nicht übersehen! Aber in diesem Fall fällt es vielen Leuten weniger schwer empathisch zu sein.
Der Unterschied: Psychische Krankheiten werden stigmatisiert und nicht ernst genommen, wie du soeben in deinem Kommentar gezeigt hast.
„Viel Glück“ MY ASS!
Natanji
Hallo Stefan,
„Depressionen sind selbstverschuldet“ ist eine vollkommene Bullshit-Behauptung. Wenn du dich tatsächlich mal mit Psychologie im allgemeinen und Depressionen im Speziellen auseinandergesetzt hättest, wüsstest du das. Für den Anfang hilft ja vielleicht Wikipedia.
Nebenbei: was für ein armseliger Mensch muss man sein, einen langen Artikel der sich argumentativ mit ganz viel schwierigen Themen auseinandersetzt *so* zu kommentieren, dabei Prozentzahlen frei zu erfinden – und das einfach nur, um sich überlegen zu fühlen?
Fakt ist: du bist genau Teil des Problems das hier angesprochen wird. Und willst mit der üblichen Tour davon ablenken. Bravo, dass du noch mal bestätigt hast, was im Text bereits steht. Aber Macker wie du werden weiter rummackern, wa?
pablo hildebrandt
Hallo Tochter kampfstrumpf,
Ich finde deinen Artikel bemerkenswert gut. Ich würde mich selbst zwar nicht in die Kategorie der Menschen einordnen an die du diesen Artikel gerichtet hast, aber du hast sehr schön dargestellt, was mich manchmal an den Diskussionen über Eifersucht mit vielen polys stört. Ich hoffe dein Stammtisch kommt zustande und ich bin auch willkommen, auch wenn ich keine psychischen Probleme habe!?
Tochter Kampfstrumpf
Hey. Vielen Dank für das Feedback! 🙂 Ja, du bist auf jeden Fall auch willkommen. Ich wollte den Stammtisch zwar vor allem für Leute machen, die psychische Probleme haben, aber auch neurotypische Leute, die oft eifersüchtig sind und sich in Standard-Poly-Kreisen unwohl fühlen sowie alle, die sich einen anderen Umgang mit Emotionen in Poly-Zusammenhängen wünschen, sind willkommen.
Ich habe noch keinen festen Stammtisch-Termin, aber ein sozusagen Vorab-Treffen, und zwar 6. Februar (Samstag) um 18:00 im Café Morgenrot, Kastanienallee 85
10435 Berlin (U Eberswalder Straße in der Nähe). Der Zugang ist barrierearm, die Getränke sind nicht superbillig, ab 2,50 € geht es (glaub ich) los.
Freut mich, falls du kommst.
Clara
Wow! Es tut so gut das zu lesen!
Gibt es eine Möglichkeit über diesen Stammtisch auf dem laufenden gehalten zu werden?
Vielen Dank für diesen Artikel!
Tochter Kampfstrumpf
Hey, Clara. 🙂
Danke für das Lob.
Klar kann ich dich auf dem Laufenden halten: Wenn du mir deine E-Mail zuschickst (tochterkampfstrumpf@web.de oder auf Twitter @herzchenbrille) kann ich dir immer die Rundmails schicken. Ansonsten habe noch keinen festen Stammtisch-Termin, aber ein Vorab-Treffen am 6. Februar (Samstag) um 18:00 im Café Morgenrot, Kastanienallee 85
10435 Berlin (U Eberswalder Straße in der Nähe). Der Zugang ist barrierearm, die Getränkepreise sollten ab 2,50 € beginnen.
Wenn du kommst, freue ich mich sehr. 😀
Ash
Danke für deinen Text! <3
Ich persönlich verstehe Eigenverantwortung, glaube ich, anders als du – ich bin mir nicht ganz sicher:
Eigenverantwortung in Bezug auf Gefühle heißt für mich überhaupt gar nicht, alles mit sich selbst ausmachen zu müssen. Das wäre ganz ganz ganz furchtbar!
Was nicht okay ist und die Verantwortung auf andere abschiebt, ist nach meinem Verständnis: "Ich bin eifersüchtig, mach mal was dagegen" – was in den meisten Fällen in Mono-Beziehungen eben heißt: "Lass, was auch immer du tust oder tun wolltest, denn sonst geht es mir schlecht!"/"Du bist schuld an meinen Gefühlen, also verhalte dich so, dass sie nicht auftauchen!".
Was dagegen m.E. voll okay ist: "Ich bin eifersüchtig."/"Ich bin eifersüchtig und weiß gerade nicht, was mir hilft."/"Ich bin so eifersüchtig, dass ich gerade am liebsten alles hinschmeißen und auf eine einsame Insel ziehen würde, weil die Welt und der ganze Beziehungsscheiß mich verdammt nochmal ankotzt." (Letzteres würde ich allerdings nicht gerade zu der jeweiligen Person sagen. 😀 )
Also was ich sagen möchte, ist: Eigenverantwortung heißt für mich nur, nicht zu erwarten, dass die andere Person die eigenen Gefühle "wegzaubert", aber es heißt auf keinen Fall, diese Gefühle nicht kommunizieren (oder haben) zu dürfen. Das finde ich im Gegenteil verdammt wichtig – in Mono-Beziehungen übrigens auch und das sag ich auch in jeder Diskussion und steht auch in meinen eigenen Blog-Einträgen zu Poly: Ich BIN eifersüchtig. Das ist für mich halt nur kein Hinderungsgrund. 🙂
Ach und btw: Self-Care bringt mir auch gar nicht so viel.
Was mir hilft, ist zu fragen: "Was findest du an der Person denn toll?" (oder "Was finde ich selbst an der Person, auf die ich eifersüchtig bin, denn toll?")
Sobald der Mensch, den ich als Bedrohung empfinde, kein gruseliger Schatten, sondern ein greifbarer Mensch (am besten mit Eigenschaften, die ich auch toll finde) ist, kann ich damit besser umgehen.
Und körperliche Nähe. Die hilft mir auch. Oder Menschen, die mir gerade sagen, dass ich auch toll bin. Oder warum ich toll bin. Oder dass sie mich lieb haben. Oder dass es voll okay ist, gerade eifersüchtig zu sein. Oder die einfach zuhören, wenn ich gerade mal abkotzen muss und die wissen, wie sie meine Schimpferei einordnen können. Oder die mir zuhören, während ich versuche, herauszufinden, was die Eifersucht/Verlustangst gerade auslöst, was da an Absprachen fehlte, etc.
Für fast alles brauche ich aber eine Gegenseite, die mit mir interagiert – und ich bespreche tatsächlich viel nicht direkt mit Partner_innen, weil ich glaube, dass das situativ schon Druck aufbauen kann, aber alleine geht's halt meistens auch nicht.
Es hilft mir auch, darüber nachzudenken, woher das Gefühl gerade kommt, was die Angst auslöst, etc. und ich find's auch wichtig, das zu tun – aber es hilft mir deswegen, weil ich dann weiß, worum ich meine_n Partner_in oder andere Menschen dann bitten kann und nicht, weil das Gefühl sich durchs Nachdenken komplett aufgelöst hat und ich dann plötzlich nix mehr von außen brauche.
Wäre ja echt schön, wenn das so wäre. Aber ich glaube, außerhalb von vielleicht irgendwelchen Zen-Klöstern kommt das so dauerhaft nicht vor. 😀
Gevene
Hallo!
Ich danke dir ebenfalls für deinen Artikel. Auch ich finde ihn „bemerkenswert gut“. 😉
Ich würde aber auch noch gern die verlinkten Artikel lesen und glaube, dass da mit der Verlinkung etwas schief lief. Die ersten drei enden alle bei „Depression and Polyamory“. Es wäre toll, wenn du das ändern könntest.
LG
Gevene
Tochter Kampfstrumpf
Hey, Gevene! Vielen Dank für den Hinweis, ist repariert. 🙂
Natanji
Hey, danke für die Antwort! 🙂 Ich finde es übrigens sehr interessant, dass unsere jeweiligen Poly-Kreise da anscheinend so krass unterschiedlich funktionieren. Mir gruselt’s echt bei einigen der beschriebenen Dinge sehr, besonders der Vorwurf einer bewussten Manipulation ist in meinen Augen wirklich krass und meist ziemlich absurd. Das ist nicht, wie meiner Erfahrung nach Leute ticken. Sowieso allgemein gilt: Leute die sich lieb haben, können leider einander auf alle erdenklichen Weisen verletzen; aber nur wenige tun das bewusst.
Ich bin auf jeden Fall für mehr Gefühle zeigen (können) und damit auch für mehr heulen und schluchzen und Kissen boxen oder wasauchimmer. Die Abwertung von Emotionalität ist gewiss auch Teil von Männlichkeitsnormen.
Beim Zine mache ich gerne mit, wenn du mir rechtzeitig bescheid sagst! 🙂 Wegen meiner bis auf wenige Wochenenden großen Distanz zu Berlin kann ich ja vmtl leider nicht zu den jeweiligen Treffen kommen und brauch dann vmtl. eine Extrainfo. Aber wollen: immer!
humanimal
hallo tochter kampfstrumpf, danke für diesen überraschend neu gedachten beitrag.
seit ich die polyamorie als konzept erkannt und für mich gewählt habe, leide ich unter den hochtrabenden ansprüchen und dogmen in diversen foren und gruppen der polyamorie. es scheint mir oft so, dass selbsternannte gewinnertypen und vorzeigepolys die deutungshoheit für polyamores dasein mit einem leistungscamp einer egomanen freiheitselite verwechseln.
verirren sich in diese gruppen nun menschen, die probleme mit der zwischenmenschlichen kommunikation oder der emotionalen stabilität formulieren ist oft ein affekt beobachtbar, den ich unter raubtierpolyamorie subsummiere. du hast die neoliberale attitüde ja sehr schön postuliert, wenn mensch also formuliert, ich habe ohnmächtige wut, abgrundtiefe trauer, bin eifersüchtig und enttäuscht oder bin ausgerastet, kommt eine reaktion des unverständnisses meist in form einer pathologisierung auf die diskutanten zurückgeschleudert, die jede weitere auseinandersetzung schmerzhaft und unproduktiv werden lässt.
emotional instabile, depressive, schizophrene menschen und weitere psychisch belastete personenkreise sind in aller erster linie menschen, die in ihrem alltag klarkommen müssen, wie alle anderen auch. die meisten lernen mit ihren handycaps zu leben und entwickeln strategien, um sozial und emotional kompatibel zu leben. gerade eine startegie ist es, den mitmenschen einblicke in das gefühlsleben und die probleme damit zu geben, damit gemeinsam wege aus z.t. zwanghaften dynamiken erarbeitet werden können. dem stehen dann aber gerade in polyamoren kreisen dogmen, wie „wer sich nicht liebt, kann nicht lieben“ oder mythen, wie „eifersucht ist eine sucht, die mit eifer sucht…“ entgegen. damit ist die verantwortung für situative entgleisungen ausschließlich der „gestörten person“ zugewiesen.
noch fataler sind die reaktionen auf schilderungen destruktiver dynamiken zweier menschen mit dispositionen jenseits der sogenannten norm. dann wird häufig eine negative zukunftsprognose für eine verbindung beschrien und ein vernichtendes urteil gesprochen, „geh in die klapse, bevor du andere mit reinziehst!“ oder ähnliches. dies drängt menschen, die vielleicht durch eine öffnung ihrer innenwelten in solchen foren einen eigentlich konstruktiven ansatz gewählt haben, in eine gefährliche pathologisierung und führt vielleicht dann zu einer weiteren eskalation, wie natanji schon eingangs kommentierte. gruppenbashing ist vernichtend wirksam, es wird auch gerne mobbing genannt. ein immer wieder in polyforen erkennbarer prozess. es scheint, dass das heile bild der polyamoren glücksseligkeit nur gewissen kreisen vorbehalten bleiben soll und es auf keinen fall von den schmuddelkindern beschmutzt werden darf.
ich würde gerne noch auf problematische polyamore verbindungen, in denen kinder leben, eingehen, aber da schnürt es mir gerade die kehle zu. wenn ich genug abstand habe und ich auch eine lösung präsentieren kann, dann schreibe ich dazu noch einen gesonderten kommentar. bis dahin wünsche ich eine weitere konstruktive zeit, toll, dass diesem thema menschen nun ihre wahrnehmung schenken. da ich oft in berlin verweile hoffe ich auch mal an dem stzammtisch teilnehmen zu können. allet liebe aus dem rheinland.
Jonas Schröder
Danke für den wertvollen Beitrag! Sehr schöner Blog.