FAQ: Bi heißt zwei?!
Häufig wird behauptet, dass Bisexualität wegen der Vorsilbe „bi“ das Zweigeschlechtersystem reproduziert. Allerdings ist Etymologie und Sprache wesentlich komplexer als das! Ich habe die häufig gestellten Fragen zu dem Thema beantwortet.
In letzter Zeit war ich wieder aktiver auf Twitter und schrieb mehrere Threads über Bisexualität. Wie bei jedem Thread über Bisexualität kamen ein paar Schlaumeier in meine Mentions, die besser wissen wollten, was Bisexualität bedeutet oder den Begriff kritisierten. Bisexualität sei das Begehren zwei binärer Geschlechter, bezöge sich auf das Zweigeschlechtersystem und schließe trans und nichtbinäre Menschen aus. Pansexualität sei die inklusivere Alternative. Bi-Aktivist*innen kennen diese Behauptung und finden es ermüdend immer wieder dagegenhalten zu müssen.
Deswegen schrieb ich einen Thread mit häufig gestellten Fragen zum Thema. Da die Nachfrage da war, habe ich mich entschlossen aus dem Thread einen Blogpost zu machen, mit übersetzten Zitaten, Quellenangaben, weniger Tippfehlern und etwas ausführlicheren Kommentaren. Los geht’s!
„Bi“ bedeutet zwei. Also begehren Bisexuelle nur Männer und Frauen, oder etwa nicht?
Nein, Bisexualität ist das Begehren von mehr als einem Geschlecht. So definieren sie die einschlägigen Bi-Vereine und Organisationen.
Das Bisexual Resource Center, welches 1985 in Boston gegründet wurde und eine der ältesten Strukturen für nicht-monosexuelle Menschen in den USA ist, beschreibt Bisexualität folgendermaßen:
Bisexualität ist eine vielfältige sexuelle Orientierung, weil sie Menschen in der Bi+ Community auf unterschiedliche Weisen definieren. Manche identifizieren sich als bisexuell, während andere Begriffe wie pansexuell, queer, fluid oder gar kein Label benutzen, um ihr Begehren für mehr als ein Geschlecht zu beschreiben.
Quelle: Bisexual Resource Center, What is bisexuality?
Bisexualität gilt hier also als Sammelbegriff für alle nicht-monosexuellen Orientierungen. Deswegen wird in manchen Schreibweisen dem „Bi“ noch ein Plus angehängt, als Platzhalter für weitere Selbstbezeichnungen: Die Bi+ Community. Vom „bisexuellen Regenschirm“ spricht auch die Aktivistin Shiri Eisner. Ob man dem zustimmt oder lieber „nicht-monosexuell“ bzw. „non-mono“ als Sammelbegriff nehmen möchte, ist eine andere Frage. Klar ist jedoch, dass in dieser Definition nirgendwo von nur zwei Geschlechtern oder dem Zweigeschlechtersystem die Rede ist.
Viele Bi-Organisationen, wie z. B. BiNe e. V oder BiBerlin e. V., beziehen sich in ihrer Definition auf ein Zitat der Bi-Aktivistin Robyn Ochs aus der Anthologie „Getting Bi“ (2005).
Ich bin bisexuell, weil ich anerkenne, dass ich mich potentiell zu Menschen mehr als eines Geschlechts hinzugezogen fühlen kann, sei es sexuell und/oder romantisch. Nicht unbedingt zum gleichen Zeitpunkt, nicht unbedingt auf die gleiche Art und Weise, nicht unbedingt mit der gleichen Intensität.
Quelle: RobynOchs.com, Selected quotes from Robyn Ochs
Das Präfix „bi“ kann sich doch nur auf das Zweigeschlechtersystem beziehen! Was soll denn „bi“ sonst bedeuten?
Du willst eine Definition von Bisexualität, in der sich das Präfix „bi“ nicht auf die Geschlechterbinarität bezieht? Kein Problem! Wie wäre es mit dieser schönen Definition aus „Bi: Notes for a bisexual revolution“ von Shiri Eisner?
Wenn Homosexualität als das Begehren von Menschen ähnlichen Geschlechtes verstanden wird und Heterosexualität als das Begehren von Menschen verschiedenen Geschlechts, dann kann Bisexualität genauso das Begehren von Menschen ähnlichen und verschiedenen Geschlechts bedeuten. Was ich an dieser Definition liebe ist, wie sie das Thema Geschlecht einbezieht, aber ohne die Optionen einzugrenzen – sie beinhaltet zwei Kategorien, aber lässt ihren Inhalt offen.
Quelle: RobynOchs.com, Selected quotes from Robyn Ochs
Shiri Eisner meint mit „bi“ zwei Kategorien: 1. Geschlechter, die dem eigenen Geschlecht ähneln und 2. solche, die sich unterscheiden. In diesen Kategorien ist Platz für viele Geschlechter. Die Kategorien schreiben weder Binarität, Cis-Geschlechtlichkeit noch bestimmte körperliche Eigenschaften vor.
Schön finde ich, wie offen Eisner Homo- und Heterosexualität definiert. Das bringt mich zu der Frage: Wie viele von den Menschen, die wegen der angeblichen Binarität von Bisexualität so ausrasten, denken bei den monosexuellen Orientierungen nicht an die weit verbreiteten cissexistischen, biologistischen oder binären Konnotationen? Frag ’ne random Mainstream-Cis-Hete, wie sie Hetero- und Homosexualität versteht und sie wird höchstwahrscheinlich früher oder später was von Genitalien brabbeln. Biologismus und Cissexismus nur bei Bisexualität zu sehen ist ein Doppelstandard.
„Was soll denn ‚bi‘ sonst bedeuten?“ Für einige Menschen bedeutet „bi“ tatsächlich, dass sie ausschließlich auf zwei Geschlechter stehen. Diese müssen aber weder (nur) männlich, noch weiblich und erst recht nicht cis sein.
Ja, aber diese neuen Definitionen sind halt nur NEUE Definitionen. Sie zählen nicht so richtig.
Oh, du stehst auf den alten Scheiß? Schauen wir uns doch mal an, was für ein Verständnis Bisexuelle im Jahre 1990 hatten. Der folgende Satz stammt aus dem „Bisexual Manifesto“:
Geht nicht davon aus, dass Bisexualität binär oder in ihrer Natur bigam sei, dass wir „zwei“ Seiten hätten oder gleichzeitig beide Geschlechter bräuchten, um erfüllte Menschen zu sein. Geht nicht einmal davon aus, es gebe nur zwei Geschlechter.
Quelle: Bisexual Manifesto, 1990
Sicher, der Ausdruck „beide Geschlechter“ gehört aus dem Wortschatz gestrichen. Dennoch ist das ein klares Statement, das die Existenz nichtbinärer Geschlechter anerkennt und das Begehren dieser nicht ausschließt. Zur zeithistorischen Einordnung: Das „Bisexual Manifesto“ ist aus dem gleichen Jahr, in dem auch das queere Standardwerk „Das Unbehagen der Geschlechter“ von Judith Butler erschienen ist.
Was ist mit der URSPRÜNGLICHEN Bedeutung, die ist doch sicher binär?
Ich seh schon, man kann dir wirklich nichts vormachen! Hier, bitteschön:
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird der Begriff Bisexualität in den Bereichen Anatomie und Physiologie verwendet, um sich auf Lebensformen zu beziehen, die geschlechtlich uneindeutig sind oder die Eigenschaften beider Geschlechter aufweisen.
Quelle: Lachlan Mac Dowall: Present Tense Bisexuality, S. 222.
Moment mal, es geht ja gar nicht um sexuelle Orientierung! Richtig. In der Naturwissenschaft sind Blumen „bisexuell“, wenn sie Pollen und Samen haben. Die Etymologie des Präfixes „bi“ wird Bi-Aktivist*innen ständig unter die Nase gerieben, diese Definition von Bisexualität hingegen kennt kaum ein Schlaumeier. Sie zeigt sehr deutlich, dass Sprache lebendig ist und sich wandelt. Der Glaube die Bedeutung eines Wortes müsse seinem historischen Ursprung entsprechen, nennt man auf Englisch übrigens „Etymological fallacy“ (Etymologischer Irrtum). Manchmal ist der „historische Ursprung“, den man zu wissen glaubt, nicht einmal korrekt.
Wo ist dann die Abgrenzung zur Pansexualität?
Bisexualität ist das Begehren von mehr als einem Geschlecht. Pansexualität ist das Begehren aller Geschlechter oder unabhängig von Geschlecht. Weitere nicht-monosexuelle Identitäten sind: Polysexuell (das Begehren vieler, aber nicht aller Geschlechter), omnisexuell, fluid sowie hetero- oder homoflexibel. Ein häufig genannter Unterschied zwischen Bi- und Pansexualität ist, dass Bisexuelle verschiedene Geschlechter auf verschiedene Weisen romantisch und/oder sexuell begehren, während Pansexuelle alle Geschlechter gleich begehren. Aber es gibt auch Bisexuelle, die unabhängig von Geschlecht begehren und Pansexuelle, die das nicht tun.
Ich finde, es braucht keine klare Abgrenzung. Bei Identitätsfindung und Labels geht es schließlich um mehr: Welcher Begriff spricht mich an? Welche politischen Kämpfe und Positionen verbinde ich damit? Welcher Community fühle ich mich zugehörig? Allein die Bandbreite dessen, was „Ich bin bisexuell“ bedeuten kann, habe ich versucht in diesem Twitter-Thread zusammenzufassen:
Aber ich finde pan-/omni-/polysexuell besser!
Schön für dich. Es steht dir frei dich zu definieren, wie du möchtest.
Das rechtfertigt aber nicht falsche Behauptungen über Bisexualität zu verbreiten.
Die Mehrheitsgesellschaft versteht es falsch, wenn du dich als „bisexuell“ identifizierst. Willst du das nicht vermeiden?
Was ist das für ein Argument? Die Mehrheitsgesellschaft hat auch ein cissexistisches Verständnis davon, was Homo- und Heterosexualität bedeuten. Ich werde meine Selbstbezeichnung ganz bestimmt nicht von Vorurteilen irgendwelcher Mainstream-Cis-Heten abhängig machen. Ganz im Gegenteil: Es ist die Mainstream-Gesellschaft, die mir so viele Negativbilder und Lügen über Bisexualität in den Kopf gepflanzt hat. Lange habe ich mit Bisexualität Betrug, fehlende Loyalität, Unentschlossenheit oder Unreife assoziiert. Deswegen mache ich mir den Begriff zu eigen und besetze ihn positiv: Jetzt erst recht bisexuell!
Ich wünsche mir so sehr, dass endlich mehr Verständnis und Akzeptanz zwischen nicht-monosexuellen Menschen bezüglich der Begrifflichkeiten herrscht. Was ich geschrieben habe, ist nicht neu. Bi-Aktivist*innen müssen diese Diskussionen ständig führen.
Die Zeit, die für Blogposts wie diese und „Bi heißt zwei“-Diskussionen draufgeht, könnte genutzt werden, um Aufklärungsarbeit zu leisten, gegen Bi-Feindlichkeit und Bi-Erasure zu kämpfen oder sich für Sichtbarkeit in der LGBTQ-Community einzusetzen.
Lesetipps und Quellen:
- Robyn Ochs, RobynOchs.Com: The Definition of Bisexuality (According to Bi Organizations, Activists and the Community)
- Robyn Ochs (Hrsg.): Getting Bi: Voices of Bisexuals Around the World, 2005.
- Shiri Eisner: Bi: Notes for a Bisexual Revolution, 2013.
- Lachlan Mac Dowall: Present Tense Bisexuality.
- Bisexual Manifesto, 1990.
Ein Kommentar
Pingback: