Mein bester Freund – der Feminist, der Masku, das Chamäleon?
Eine Männerfreundschaft, die an Sexismus zerbricht: Here we go again!
CONTENT WARNING: Abusive Friendship, körperliche/sexuelle Grenzüberschreitung
Vor sieben Jahren haben wir uns kennengelernt und wurden beste Freunde. Ich will mich noch ein mal erinnern. Vor sieben Jahren, an Valentinstag, denn das ist der Tag, an dem eine gemeinsame Bekannte von uns Geburtstag hatte. Es war ihr 18. Ich stand inmitten dieser Party, wo Chartshits liefen und in meiner Gruftie-Hochphase. Nach einigen erfolglosen Versuchen locker zu werden, beschloss ich, dass der Abend so nicht enden durfte. Ich schaute mich um und sah dich: Du saßt allein mit deinem Bier an einem Tisch und sahst so gelangweilt aus, wie ich es war. Ich setze mich zu dir, fragte dich, ob wir uns gemeinsam langweilen wollten. Wir blieben nicht lang bei Smalltalk, denn schnell kamen wir aufs Schreiben, ich Lyrik und Kurzgeschichten, du Raptexte. Als Gruftie hatte ich meine Vorurteile gegenüber Hip Hop, doch ich wusste auch, dass ich keine Ahnung hatte und hörte dir zu, um nachzuvollziehen, was Leute daran mochten. Später standen wir vor dem Partysaal und ich rauchte meine erste Kippe mit dir. Du fragtest, ob ich mit zu dir nach hause kommen würde, wo du mir die Uhrensammlung deines Vaters zeigen wolltest. Da das nach der plattesten Anmache seit Menschengedenken klang, fing ich laut an zu lachen und war mir sicher, dass du das nicht so gemeint haben konntest.
Ich war naiv und hatte damals kaum grenzüberschreitende Erfahrungen mit Typen gemacht, also ging ich mit und hatte Glück: Mehr als mir die Aussicht deines Balkons und die Uhren deines Vaters zu zeigen, hattest du nicht vor. Wir tauschten Myspace-Daten aus. Schnell entwickelte sich Freundschaft, ich schätzte deine Spontanität, Momente als du mich anriefst: „Ach, du bist im Bus XY? Steig mal da aus, ich bin grad in der Nähe!“ oder als wir uns morgens um vier im MSN-Chat trafen und die Idee in die Tat umsetzten spazieren zu gehen. Ich werde nie vergessen wie ich mit der Kaffeekanne in der S-Bahn saß und die komischen Blicke der Leute. Oder die Abenden bei dir mit deinem Kumpel und einer Menge Rumcola.
Du hattest eine Gabe den Kern eines komplizierten Themas zu finden und Leuten vor Augen zu führen, wie akademisches Gerede den Punkt verfehlt. Du warst offen für Themen mit denen du dich nie zuvor beschäftigt hattest. Durch dich lernte ich Rap und Hip Hop lieben. Du warst der loyalste Freund, den ich hatte: Jede Lesungen, jeder Umzug, Liebeskummer, bei meinem Zwangsouting – du warst da.
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Doch wie die Freundschaft wuchs, wuchs auch die Sprachlosigkeit. Ich ahnte, dass du in mich verknallt warst, doch versuchte ich dich darauf anzusprechen, kam ich mir blöd vor überhaupt gefragt zu haben. Kurz nachdem ich mich von meinem Ex getrennt hab, knutschten wir rum, was ein Fehler war. Nie haben wir uns danach ausgesprochen. Suchte ich den Zugang zu dir, fand ich nur eine Mauer aus „Alles okay“. Immer wieder, im Abstand von Wochen, Monaten, sogar Jahren, versuchtest du dich mir körperlich zu nähern. Wir hatten dafür keine Sprache gefunden und so endeten diese Geschichten damit, dass ich wage meine Unsicherheit kommunizierte. In SMSen oder Mails formulierte ich ein „Nein“ und dachte, du hättest das verstanden. Doch immer wieder, aus heiterem Himmel, passierte es. Irgendwann war es zu anstrengend jedes mal die Grenze zu ziehen. Ich redete mir ein, dass es leichter sei ein mal „Ja“ zu sagen als immer und immer wieder „Nein“. Ich versuchte sogar bewusst den Gedanken zu fetischisieren, mit dir zu schlafen und steigerte mich da rein, doch als es fast dazu gekommen wäre, stellte ich fest wie erzwungen und falsch sich das anfühlte. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal froh darüber sein würde, dass jemand zu einer so ungünstigen Situation in die Wohnung kommt. Daraufhin wusste ich, dass meine einzige Möglichkeit die Freundschaft zu retten war, auszupacken und von dir einzufordern, dass du mir versprichst dich mir nie wieder körperlich zu nähern. Du hieltst dein Versprechen. In mir blieb die mulmige Gewissheit, dass du das schon viel früher hättest besser wissen müssen und Scham.
Ich rettete die Freundschaft nicht damit, doch der Anfang vom Ende kündigte sich schon früher an: Ich dachte zunächst nur, dass du dich jetzt mehr selbstbehaupten wolltest, worin ich nichts schlechtes sah. Doch deine Selbstbehauptung entwickelte sich schnell zu sinnlosen Anmachen anderer und sich über andere stellen, um jeden Preis. Du musstest in jeder Diskussion Recht behalten, egal wie banal das Thema war. Aus deiner Gabe komplexe Themen auf den Kern runterzubrechen wurde Banalisierung und Verharmlosung, deine offenen Ohren wurden durch ungewollte Ratschläge und Glückskeksweisheiten ersetzt. Während du einerseits deine Meinung bis aufs Blut verteidigtest, schien es andererseits, als hättest du keine. Je nachdem bei wem du dich beliebt machen wolltest, änderte sich deine Weltanschauung. Die unzähligen Gespräche über Feminismus, bei denen ich oft dachte, wir würden ähnliche Standpunkte vertreten, waren mit einem Moment vergessen, als du bei einer Frau landen wolltest, die sagte Rockefeller habe den Feminismus erfunden. Ebenso schien es dir keine Probleme zu bereiten Masku-Thesen zu vertreten, als einige deiner Kumpels damit anfingen. Während du in linken, feministisch orientierten Hausprojekten deine Joints rauchtest, verteidigtest du GamerGate, die Verschwörungstheorien über Anita Sarkesian und hieltest Reden über die schlimme Diskriminierung von Vätern. Es wäre durchaus möglich dich wenige Minuten später dabei zu erwischen wie du feministische Thesen unterstützt. Einerseits erwartetest du, dass deine Probleme als weißer Mann im Patriarchat ernst genommen werden, im nächsten Moment erzählte jemand von erlebter Transfeindlichkeit oder Rassismus: Da warst du der erste, der einen weisen Spruch parat hatte, der im Wesentlichen aussagte: Stell dich nicht so an.
Als ich Wörter wie „Friendzone“ aus deinem Mund hörte, nach unserer Geschichte von gefailtem Konsens und Sprachlosigkeit, zuckte ich zusammen. Warst du etwa auch der Meinung ich hätte dich „gefriendzoned“? Hat dir die Freundschaft gar nichts bedeutet?
Seit Jahren unterhielten wir uns immer wieder über Rassimus, wie migrantisierte Menschen gezwungen werden sich zu integrieren. Selten hörte ich Gegenwind deinerseits und umso geschockter war ich als du mir vorwarfst die „Migrantenkarte“ auszuspielen als ich mich mit einer Deutsch-Jugo unterhielt.
Irgendwann fandest du mich auf Twitter, um mich als Nazi zu beschimpfen, weil ich sagte, dass es keinen „Reverse Racism“ gibt.
Bei Themen, die dich betrafen wie Klassismus hattest du mehr zu sagen, doch auch da kamen die Widersprüche schnell. In unserer letzten Diskussion erklärtest du Menschen, die nicht lohnarbeiten für Parasiten. Einer meiner Versuche dich von diesen menschenverachtenden Thesen abzubringen war über unbezahlte Arbeit zu reden. Ich landete bei ehrenamtlichen Betreuer_innen von HIV-Patient_innen, weil ich mich gerade damit beschäftigte. Doch das nahmst du als Anlass dich über HIV-Positive aufzuregen, weil – wie originell, diese wohl alle irgendwie selbst Schuld daran seien.
Würdest du dir nicht ständig selbst widersprechen, indem du an anderen Tagen oder nur Minuten später das genaue Gegenteil behauptest, wäre der Fall klar. So weiß ich nicht, was du wirklich denkst, welche Ansichten du wie ein Chamäleon aus Beliebtheitsgründen übernommen hast. Bei alledem bleibt das Gefühl zurück, es ginge dir gar nicht um deine Meinung, sondern darum den Konflikt mit mir zu suchen, vielleicht aufgrund unserer Geschichte von gefailtem Konsens und Sprachlosigkeit? Weil du immer noch verknallt bist? Vielleicht fällt es mir nur leichter mir vorzustellen, dass du dich wegen mir so benimmst, statt dass du ein Arschloch sein könntest.
Wenn ich mir ein Foto von dir von vor vier Jahren anschaue, sehe ich einen aufgeschlossenen, jungen Menschen. Sehe ich Fotos von dir heute, sehe ich einen überforderten, verwirrten Typen, der vermutlich aufgrund seines internalisierten Männlichkeitsideals niemals zugeben würde, dass er ein Problem hat. Es ist nicht schwer zu sehen, dass es dir nicht gut geht. Irgendwas muss passiert sein!
Vielleicht würde ich dir sogar noch helfen wollen, aber Initiative meinerseits wird es nicht mehr geben. Denn noch so eine Situation oder eine Diskussion mit dir würde mehr wehtun, als dich endgültig abzuhaken.
Oft habe ich mich nicht mit der Mauer aus „Alles okay“ zufrieden gegeben und dich zur Rede gestellt, dir gesagt, wenn es ein Problem zwischen uns gab. Falls du das hier jemals liest und bereit dazu bist dein Verhalten zu reflektieren, Verantwortung zu übernehmen, für das, was du getan und gesagt hast: Meine Tür ist offen. Nach sieben Jahren Freundschaft bin ich der Meinung: Jetzt bist du an der Reihe.