Handschellen
Sexpositivismus

Ich bin mehr als Ms. Sexpositiv!

Es ist wichtig und begrüßenswert, dass es sexpositive, queerfeministische Räume gibt. Aber es entwickeln sich auch Szenenormen, nach denen alle jederzeit bereit sein sollen sich offen mit Sexualität zu beschäftigen. Das ist das Gegenteil von Empowerment!


Ein paar Gedanken zu Sexpositivismus in queeren Räumen

Noch bis vor kurzem hätte ich mich selbstüberzeugt als „sexpositive Feministin” bezeichnet und Leuten, die abfällig von sexnegativen Feminist*innen als „prüde Emanzen” reden, erklärt, warum das total veraltet, Alicer Schwarzer ist und wie anders und cool ich bin.

Das liegt daran, dass mich der Sexpositivismus in queeren Räumen sehr empowert hat, ich ein anderes Verhältnis zu meinem Körper entwickeln konnte und mich weniger für Promiskuität, BDSM etc. schämte, auch wenn ich natürlich noch immer in einem Prozess stecke. Ich feier(t)e Lady Bitch Ray und „Feuchtgebiete”, traute mich plötzlich über Sex zu reden und nachzudenken, ohne mich hinter einem Schleier von Peinlichkeit zu verstecken. Ich traute mich Kurzgeschichten mit expliziten Sexszenen vorzulesen und sprach öffentlich diese Ironie oder Doppelmoral an, in der wir einerseits permanent von sexualisierten, normschönen Körpern umgeben sind, uns der Imperativ: „Hab Sex, sei alles außer prüde, kauf Dildos, guck Pornos!” in den Hinterkopf gepflanzt wird, während es andererseits als eklig und verstörend empfunden wird, wenn eine Frau ohne Hemmungen und vulgär über Sex und Körperlichkeit redet, als sei das eine Negierung ihrer Geschlechtsidentität.

Ich hatte Spaß mit dieser Grenze zu kokettieren, zu testen, wie weit ich gehen kann und wie lange es dauert, bis die ersten Buh-Rufe kommen. Bis ich merkte, dass das, was für mich empowernd war, für jemand anderen einengend sein konnte. Das war, als ich mit einer Freundin über peinliche Sexerlebnisse tuschelte und uns eine andere Freundin in der Runde darauf hinwies, dass sie asexuell ist und es sie ankotzt, ausgeschlossen und abgewertet zu werden, weil sie keine Sexgeschichte erzählen kann oder will. Seitdem achte ich darauf, derartige Gespräche nur in Kreisen zu führen, wo ich weiß, dass das für alle okay ist. Hilfreich sind auch Safewörter. Wenn ich mich mit mehreren Leuten gleichzeitig treffe, die unterschiedlich dazu stehen, gilt einfach: Sag „Senfgurke“ und das Thema wird gewechselt.

Im Januar  war ich bei einer Veranstaltung im Café Cralle („Grenzbeziehungen und Beziehungsgrenzen. Eine Performance über Liebe, Sex und andere Un_eindeutigkeiten“), bei der es um Asexualität und Beziehungsformen ging und hörte zum ersten Mal eine explizite Kritik an den Sexpositivismus in queeren Szenen. Das leitete einen Denkprozess ein, bei dem ich feststellte, dass ich viele dieser Kritikpunkte schon früher gedacht, mich jedoch nicht getraut habe etwas zu sagen, da die Norm nun mal war, dass wir coolen Feminist*innen Sex super finden, Punkt.

Außerdem habe ich mir durch mein offensives Reden und Schreiben über Sexualität einen Stempel aufgedrückt, mein Umfeld hatte ein bestimmtes Bild von mir. Wenn ich plötzlich queere, sexpositive Räume kritisierte, würde das nicht in dieses Bild passen und vielleicht würde das sogar in einen Identitätskonflikt münden: Bin ich nicht vielleicht doch „verklemmt“?

Ich begann mich zu fragen, wie viel von dem, was ich vorgab zu sein, ich war und wie viel bloß angewöhnte, mehr oder weniger bewusst inszenierte Selbstdarstellung. Wie viel davon wollte ich wirklich sein und was habe ich nur (nicht) gesagt oder (nicht) gemacht, weil es (nicht) ins Bild und in die sexpositive Denke queerer Communities passte.

Beispiele: Als ich beim Pornfilmfestival samstags in eine 11-UhrVorstellung ging, vorm ersten Kaffee und merkte ich, dass hochaufgelöste Genitalien und Rumgestöhne doch zu viel für mich waren. Ich ging raus, mit dem Gefühl nicht cool genug zu sein, mit einem schlechten Gewissen. Ich wurde gefragt, warum ich raus gegangen bin und fand mich in der Situation mich rechtfertigen zu müssen, bzw. war keine Antwort gut genug für mein Gegenüber. Da wollte ich am liebsten die Person schütteln und ihr sagen, dass ich ihr nichts erklären muss. Stattdessen, mit der Norm im Hinterkopf, machte ich mich selbst fertig.

Als ich in einer Kneipenrunde irgendeine Sexpraktik nicht kannte, bekam ich an den Kopf geworfen „Was, gerade DU kennst das nicht?” Wieder, anstatt zu sagen: „Schnauze, ich muss nichts kennen!”, war fast so ein Leistungsgedanke da: Ich bin doof, weil ich das nicht kenne und müsste mich eigentlich mehr damit beschäftigen, weil ich doch kinky und so bin.

Ähnlich erging es mir bei Sexclusivitäten. Egal wie sehr ich Laura Meritts Arbeit schätze, die Offenheit nach dem Motto: „Wir unterhalten uns laut und ohne rot zu werden über die neusten Sextoys, wedeln damit rum und drücken an Knöpfen” machte es schwieriger für mich, die daneben stand, sich das alles schüchtern anzugucken. Die Hemmschwelle nach einer diskreten Beratung zu fragen wurde größer. Ich bin da hingegangen, um mich wohl und empowert zu fühlen, stattdessen hatte ich das Gefühl, nicht ganz dazuzugehören, weil ich nicht so offen und unbeschämt sein konnte.

Und dann die Freund_innen, die bei jedem etwas, das ihnen begegnet und mit BDSM, Fetisch oder queerem Sex zu tun hat, sagen müssen „Schau mal! Ist doch voll was für dich”, auch wenn es gerade gar nicht in die Stimmung passt. Oder Leute, vor denen ich mich als BDSMlerin geoutet hab, die es sich nicht verkneifen konnten, in jedem Satz irgendetwas mit „Top”, „Sub”, „devot” von sich zu geben. Ich bin verdammt noch mal mehr als das!

Einige haben cool reagiert, als ich ihnen gesagt habe, dass ich mich reduziert fühle. Aber warum ist es so schwer zu akzeptieren, dass Menschen nicht das eine oder das andere sind?

Warum ist es so schwer zu kapieren, dass ich dieses Wochenende auf eine Sexparty gehen kann UND mich unwohl fühlen kann, wenn ich mit etwas sexuell explizitem konfrontiert werde? Dass ich vorher wissen will, ob bei der Show die Performer*innen Sex haben oder andeuten, obwohl ich nicht asexuell oder grey-ace bin? Dass ich kinky sein kann, aber nicht alle Spielarten kenne und auch nicht kennen will. Und vor allem: Dass mich das nicht weniger sexpositiv macht. Das ist, wie ich Sexpositivismus verstehe.

Wenn allerdings sexpositiv bedeutet, sich über Menschen zu stellen, die schüchterner sind, nicht so locker und schamfrei damit umgehen können, die nicht oder wenig an Sex interessiert sind, dann kann ich mit dem Begriff nichts mehr anfangen.

Das ist kein Wettbewerb! Es hat lange gedauert bis ich aufgeschrien hab, vorher war mein Impuls Leistungsdruck: Ich muss mir die Performance angucken, auch wenn sie mich nervt, ich muss die und die Sexualpraktik beim Vornamen nennen können, ich muss immer offen über Sex reden können, mir alles ohne mit der Wimper zu zucken angucken und anhören können… und darf das Bild, das mein Umfeld von mir hat, nicht zerstören.

Queer*Feminismen sind darin bestrebt die Dichotomie „Heilige/Hure” zu dekonstruieren, doch wenn sich in queer*feministischen Räumen nur „The Ethical Slut” wohl fühlt, es keinen Platz für „The Ethical Prude” gibt, und es wieder nichts dazwischen gibt, dann seh ich nicht, wo die Dichotomie dekonstruiert wird.

3 Kommentare

  • Benjamin

    „Wenn allerdings sexpositiv bedeutet, sich über Menschen zu stellen, die schüchterner sind, nicht so locker und schamfrei damit umgehen können, die nicht oder wenig an Sex interessiert sind, dann kann ich mit dem Begriff nichts mehr anfangen“

    Ich muss mir die Performance angucken, auch wenn sie mich nervt, ich muss die und die Praktik beim Namen kennen, ich muss immer offen über Sex reden können, mir alles ohne mit der Wimper zu zucken angucken und anhören können… und darf das Bild, das mein Umfeld von mir hat, nicht zerstören.“

    Ich finde dein Problem hat absolut nix mit Sexpositivismus zu tun – für mich ist Sexpositivismus etwas, das die Akzeptanz der Sexualität und des Sexualtriebes von Individuen propagiert. Sex mit jemand zu wollen, kann also nicht amoralisch sein oder falsch sein.
    Der Umkehrschluss, man muss immer, soll immer und es wird erwartet trifft da imo nicht zu.
    Es liegt daran imo, dass dein Umfeld mehr „Sexdrive“ in einem Moment hat, in dem du keinen hast. Zusätzlich – und da spreche ich aus Erfahrung und das soll in keinster Weise abwertend gemeint sein – wohl an deiner Psyche, die die Erwartungshaltung einiger (weniger) anderen noch intensiviert und für dich belastend wirken lässt. Diese Erwartungen sind meiner Meinung nach auch vollkommen unangebracht.

    Nur weil ich auf BDSM stehe muss ich nicht auf Klammern, Nadeln, oder sonstwas spezielles stehen, es immer wollen usw. – das ist doch ganz selbstverständlich denke ich.

    Das ist aber wieder was anderes, wie wenn Menschen – obwohl du nicht in Stimmung bist – über was Reden in dem Sinne:
    „Und dann die Freund_innen, die bei jedem etwas, das ihnen begegnet und mit BDSM, Fetisch, oder queerem Sex zu tun hat, sagen müssen „Schau mal! Ist doch voll was für dich”, auch wenn es gerade gar nicht in die Stimmung passt. Oder Leute, vor denen ich mich als BDSMlerin geoutet hab, die es sich nicht verkneifen konnten, in jedem Satz irgendetwas mit „Top”, „Sub”, „devot” von sich zu geben. Ich bin verdammt noch mal mehr als das!“

    Das ist in einer Freundschaft finde ich ganz üblich und gut so! Davon brauchst du dich nun echt nicht reduziert fühlen, außer, sie reden nur über dieses Interesse von dir und sagen dir z.B. nicht Bescheid, wenn sie ins Kino gehen in einen Film, von dem sie wissen, dass du ihn auch ansehen willst. Gut, das wären keine tollen FreundInnen ^^ ; aber vlt war dein Hauptpunkt in dem Absatz ja „auch wenn es nicht in die Stimmung passt“ – naja dann scheinen sie wenig Empathie zu haben.
    Wenn ich gerade auf ner Beerdigung bin und da jmd herkommt und das Thema anschneidet ist das auch ein WTF Moment und gut, da kann man sich dann wirklich reduziert fühlen und verarscht vorkommen.

    Die Leute, die darüber witzeln sind auch finde ich nicht ganz sauber, das muss nun echt nicht sein, wenn man nicht explizit sagt, man hat damit kein Problem.
    Aber anders finde ich es auch sehr provokativ.

    glG

    • Alina

      Ich finde, der Kommentar klingt ein bisschen beschönigend. Klar sollte Sexpositivität niemenschen ausschließen oder abwerten, der sich mit Konfrontation mit Sexualtät (gerade) unwohl fühlt. Sollte, da stimme ich zu. Nur hier geht es, so verstehe ich den Artikel, gerade darum, dass das leider eben doch passiert: Dass auf Events, die Sexpositivität bestärkend transportieren sollen, solche Ausschlüsse stattfinden. Indem der Umkehrschluss von immer-Sex-wollen eben doch impliziert wird. Und ja, ihr – und auch sonst jeder*m – steht es zu, sich von wohl unüberlegten „bist-doch-so-BDSM-drauf“ Aussagen reduziert zu fühlen, auch wenn, egal ob die Person BDSM mag oder nicht. (Natürlich auch empowert, aber darum geht es ja gerade nicht.) Dementsprechend finde ich es ziemlich unpassend, dass mit tochterkampfstrumpfs Psyche zu erklären, da es um ihre Erfahrungen geht, die berechtigt sind, und nicht darum gehen sollte, solche Erfahrungen zu relativieren. Das wirkt nämlich implizit so, als sollte sie dafür verantwortlich gemacht werden, dass sie diesen Druck merkt, was unfair ist.

      Ich teile deine Sicht. In den queeren Räumen, in denen ich mich bewege, bin ich zwar weniger explizit mit Sexualität konfrontiert, merke aber immer wieder, dass diese Erwartung (ich sehe sie stark im nicht-queeren Mainstream) unterschwellig da ist. Und als aro-ace falle ich da halt raus. Jedenfalls aus der Art Sexualität(sinszenierung), die allgemein – oder speziell von mir? – erwartet oder angenommen wird. Es ist ein Dazwischen.
      Gerade weil ich Sexpositivität unterstütze finde ich deine Kritik hier so wichtig: Eine Gegennorm ist letztlich nicht Empowerment, weil es eine weitere Norm ist und deshalb ausschließt, weil sich kein Mensch in ein einfaches Extrem pressen lässt. Es muss Raum und Zeit für „beide“ Tendenzen auf allen möglichen Spektren bleiben und Möglichkeit, sich überall darauf und daneben zu bewegen.
      Gerade innerhalb queerer Kreise finde ich solidarische Selbst_kritik (auf die queeren Kreise bezogen) wie hier äußerst wichtig und hier sehr gut gelungen. Danke für den Artikel.

  • Lily

    oh wow, ja ja ja! Danke. Ich hab mich auch schon komplett nervlich aufgerieben, bloß weil ich nicht auf Porno stehe. Ich finde Pornographie an sich super, bestimmt für ganz viele Menschen, nur reizt es mich persönlich nicht. Bestimmt gibt es Pornos die ich toll finde, aber ich habe einfach gerade kein Interesse es herauszufinden. Und dass ich mich eher verstecken muss damit (vor queer-feministischen Freund_innnen), um nicht ein halb entsetztes WAS?? zu ernten, ist mir auch zu zwangsgenormt.

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