Sexpositivismus

Jugendzeitschriften, oder: Eine Lektion in Slutshaming

Jugendzeitschriften wie Bravo und Yam! haben sich zur Aufgabe gemacht Teenager sexuell aufzuklären. Aber, wenn ich an meine Zeit als Bravo-Leserin zurückdenke, fallen mir viele fragwürdige, sexistische und gar nicht so sexpositive Botschaften ein.


Hinweis: In diesem Text beziehe ich mich auf meine eigenen Erfahrungen, rekonstruiere meine Wahrnehmung als Kind und behandle ausdrücklich Cis-Weiblichkeiten, weil ich für Trans* nicht sprechen kann.


Es gibt wohl nichts peinlicheres als beim Masturbieren erwischt zu werden – egal in welchem Alter. Wenn es nicht gerade die_der Liebste ist oder die sexpositive Mitbewohnerin, sondern eine Person, die mir zuvor noch erklärt hat, warum zu viel Sex schlecht ist und dass Menschen, die ihre Triebe kontrollieren, erfolgreicher sind… Und dann sitz ich wie versteinert da und überlege mir, was jetzt am schlausten wäre. Hier ist wohl die nächsten Tage erröten und in Gedanken den Schädel gegen ne Kante hauen die einzige Option. Ach ja, und hoffen, dass sie die Situation morgen vergessen wird. Haha. Die andere Möglichkeit ist einen Text zu schreiben, damit die Welt was zu lachen hat. Bitte sehr. Das Thema ist aber nicht wirklich zum lachen, sondern sehr politisch.

So sitz ich hier und denk mir, was ist das doch für eine beschissene Gesellschaft, in der mir das tatsächlich peinlich sein muss! Und ich erinnere mich, dass mir das vor zwölf Jahren genauso peinlich war und ich dazu erzogen wurde, mich für meine eigene Lust zu schämen. Meine Eltern halten sich für sehr locker, was das Thema Sex betrifft. Im Vergleich zu ihren Eltern, sind sie das vermutlich sogar, dennoch haben sie sich bevor ich sechzehn wurde, so gut wie immer vor dem Thema gedrückt.
So hab ich mir als frühreifes Kind Sexualität selbst erklärt, über Erlebnisse, Bilder aus den Medien und Ratgeber in Jugendzeitschriften. Wenn ich mich an meine damaligen Schlussfolgerungen erinnere, stelle ich fest, wie sehr hetero_sexistische Strukturen meine Selbstwahrnehmung und Vorstellung von Sexualität geformt haben.

Mein Bild von Liebe war ziemlich lange von Disneyfilmen und Märchenbüchern geprägt, wo vielleicht Sexualisierung vorkommt (Fische mit verführerischen, langen Klimperwimpern), aber keine Thematisierung von Sexualität. Liebe, das ist das mit den zärtlichen Blicken, den Schmetterlingen im Bauch, dem Prinzessinnen-Retten: heteronormativ und romantisch verklärt. Kussszenen oder Sexszenen wurden in meiner Familie vor gespult, wenn Kinder mit dabei saßen, unabhängig davon, ab wie viel Jahren der Film freigegeben wurde. So lernte ich: Das ist tabu. Da die älteren Mitschüler_innen in der Regel etwas schneller mit der Aufklärung sind als der Sexualkundeunterricht, wusste ich allerdings ziemlich früh schon, was Sex ist, bzw. ich wusste von Penis-in-Vagina, wie mir Sex erklärt wurde.

Ich weiß noch, wie ich mit neun bei einer Mitschülerin zu Besuch war und die gerade sturmfrei hatte. Sie war ganz aufgeregt und wollte mir unbedingt zeigen, was sie bei ihren Eltern im Schlafzimmer gefunden hat. Als sie den Porno anschaltete sah ich nun also, wie dieser sogenannte Sex aussah. Ich war schockiert und fasziniert zugleich. Meine Eltern hatten mir zuvor erklärt, dass Sex und Liebe zusammengehörten. Aber das, was ich da sah, passte überhaupt nicht in mein Bild von Liebe. Ich lag ungelogen nächtelang wach und versuchte mir diese zwei völlig konträren Bilder zusammen zu denken. „Wie, so was macht man aus Liebe?! Die sahen aber eher aus, als würden sie einander verachten!“ Gleichzeitig war das, was mich faszinierte verstörend, da es keine Gefühle in mir verursachte, die ich mit etwas schönem in Verbindung brachte. Sondern es waren sonderbare, neue Gefühle, die in mir Scham auslösten, die von „da unten“ kamen. Außerdem war ich ja nicht verliebt, warum hatte ich überhaupt diese Gefühle? Das beschäftigte mich ziemlich lange und da das alles verboten und peinlich war und mir die Freundin dieses Video schließlich heimlich gezeigt hat, hatte ich mich natürlich nicht getraut mit jemandem darüber zu reden.

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Als ich neun war, reichten die ersten Mitschüler_innen die „Yam!“ rum. Das ist fast das gleiche wie die „Bravo“ nur ohne Nacktbilder. Dafür gab es Storys über „Unser erstes Mal“, natürlich immer cis und hetero. Erst erzählte der Junge, wie er das erste Mal erlebt hat, dann das Mädchen, dazwischen ein romantisches Bild von beiden. Diese Storys konnten mir endlich helfen, mir Sex und Liebe zusammen vorzustellen, das versprach ich mir davon. Allerdings erkannte ich eine andere Logik darin: Die Jungs beschrieben so gut wie immer, wie sie Spaß hatten, wie sie sich freuten, dass es nun soweit war, dass sie aufgeregt waren, aber dass es sich gut anfühlte. Die Mädchen erzählten fast immer, dass sie nun für ihn bereit waren, dass sie aufgeregt waren oder Angst hatten, aber, dass sie sich entspannten und es dann gar nicht so schlimm war! Oder das Gegenteil: Dass sie verkrampften und es weh tat. Auch wenn sie beschrieben, dass es gut war: Sie waren immer passiv und es ging mehr um die Romantik als um den Sex.

Was passierte da in meinem Kinderkopf? Aha, die Typen haben also Spaß daran und Frauen tun das aus Liebe! Das passte sehr gut mit dem Porno-Ausschnitt zusammen, da die Frau bloß da lag und seltsame Grimassen zog, die ich nicht gerade als Ausdruck von Genuss interpretierte. So erklärte ich mir den Zusammenhang zwischen Sex und Liebe: Weibliche Selbstaufgabe.

Wie sollte ich aber meine eigenen Gefühle einordnen? Die Dr. Sommer-Fragen waren keine Hilfe: Die Mädchen erkundigten sich meistens, wovon sie schwanger werden konnten, hatten Liebeskummer oder fragten um Rat, wie sie ihren Boyfriends erklären sollten, dass sie irgendetwas im Bett nicht machen wollten. Letzteres las ich nie bei Jungen, ich speicherte das als frauentypisch ab. Auch wenn in den Masturbation-/Sextipps weibliche Lust thematisiert wurde, für mich sah die Lust der Mädchen ziemlich harmlos aus: Sie berührten sich nur ganz zaghaft zwischen den Beinen und dachten dabei an ihren Schwarm. Nicht wie die „sündhaften“ Gefühle, die ich entdeckte. Die ähnelten mehr dem, wie die Lust der Jungen dargestellt wurde. Auf alles, was als „versaut“ gelabelt wurde, standen nur Typen.
Die Lust der Mädchen bezog sich immer auf einen männlichen Schwarm, den sie „sooo süß“ fanden, der im Bett „so zärtlich“ und „vorsichtig“ war. Nie ging es darum, dass sie einfach mal rattig waren! Oft wurde das Klischee reproduziert, Jungen hätten gern viel Sex, würden immerzu daran denken, auf Pornos stehen und Mädchen würden lieber kuscheln. Ich musste damals auch pausenlos an Sex denken… wie konnte das sein, da ich anscheinend nicht zu dem Geschlecht gehörte, das Lust (ohne einen süßen Schwarm anzuhimmeln) verspüren durfte? Schlussfolgerung: Ich war wohl eine Schlampe.

Als ich mit zehn die Selbstbefriedigung entdeckte, erklärte ich mir meine „Perversion“ so: Ich war im früheren Leben entweder ein Mann oder eine Prostituierte. Unter Prostituierte verstand ich die stöhnenden Damen aus den 0190-Werbungen. Das waren in meiner kindlichen Vorstellungen die zwei sozialen Gruppen, bei denen Lust erlaubt war. Meine Mutter hat mich mit dem Glauben an Wiedergeburt großgezogen, das war also keine abwegige Idee für mich. Jedes mal, wenn ich diese „Sünde“ beging, schwor ich mir, es nie wieder zu tun und belohnte mich, wenn ich es länger ohne aushielt.

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Ich erinnere mich noch sehr genau an den Moment, als meine Mutter von einer Bekannten erzählte, die ihren Mann betrogen hat. Sie kommentierte: „Na, wenigstens hatte sie Spaß!“
„Spaß?“ wiederholte ich entsetzt, sagte sie gerade wirklich „Spaß“? Die war sicher auch eine Schlampe, dachte ich. Als mich meine Mutter daraufhin fragte, was ich denn hätte, Sex fühlte sich doch schön an und die Bekannte wollte es selbst, war ich entsetzt, denn das passte nicht in mein Weltbild. Ich grübelte die ganze Zeit über das Wort „schön“ nach. „Sex und schön?“ wunderte ich mich. „Sex, auch ohne Liebe und schön?“. Ich konnte nicht begreifen, dass das, was doch für Mädchen verboten war, nun schön sein durfte. Nicht endlos romantisch, nicht hingebungsvoll, auch nicht schmerzhaft, nicht unanständig, sondern… schön. Ich ließ mir den Gedanken auf der Zunge zergehen, bis er sich nicht mehr seltsam, sondern sogar schön anhörte.

Entsprungen sind diese Gedanken und Gefühle einer strukturellen Diskriminierung, in der weibliche Lust tabuisiert, stigmatisiert und unsichtbar gemacht wird, nur in Abhängigkeit zu Männern vorkommt. Eine strukturelle Diskriminierung, die meine Eltern z.B dadurch unterstützten, dass sie mich sehr unsensibel mit den Yam!-Zeitschriften, die sie im Kinderzimmer fanden, konfrontierten. Auch später hat meine Mutter öfter gesagt, ich sei sexbesessen, als z.B meine Outfits knapper wurden.
Unterstützt hat das auch die Schule, denn im Sexualkundeunterricht ist nie von Lust die Rede. Nur von Fortpflanzung, Verhütungsmitteln und Menstruationszyklen. Als sei Lust ein lästiges Nebenprodukt vom Zeugungsakt.

Da gibt es schon mal diese tolle Erfindung der Jugendzeitschriften, die schon Achtjährige lesen. Doch anstatt über Mädchen zu schreiben, die Spaß an ihrer Lust haben und ihre Sexualität selbstbestimmt leben, geht es viel mehr darum, den Mythos Jungfräulichkeit aufrechtzuerhalten. Darum wie das erste Mal Hetero-Penetrationssex für den Jungen am geilsten, für das Mädchen am erträglichsten/ romantischsten wird.

Vielleicht wäre eine Fotostory über ein Mädchen, das mit ihren Freund_innen über ihre Bedürfnisse und Fantasien, unabhängig von Typen, redet sinnvoller als eine Story, in der drei Freundinnen wetten, wer zuerst ihre Unschuld verliert… wegen der sozialen Anerkennung!

So sitz ich nun also da, vermutlich noch immer knallrot im Gesicht und es ist mir genauso peinlich wie vor zwölf Jahren: die gleiche Selbstverachtung, der gleiche Ekel vor meinem Körper. Ich hab Schiss, dass mich die Person, die mich erwischt hat, für eine Schlampe hält, obwohl ich es doch besser weiß! So einfach ist es aber nicht all das loszuwerden, was die Sozialisation fleißig in mein Denken gepflanzt hat.

Dass ich diesen sehr intimen Text jetzt veröffentliche, gibt mir jedoch Kraft, denn es ist zum ersten Mal kein Verkriechen in mein Schamgefühl, sondern eine Flucht nach vorn.

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